Macho Man: Roman (German Edition)
an:
»Eniste, wir fahren am besten bei dir zu Hause vorbei, dann kannst du dich umziehen.«
»Umziehen? Ich dachte, wir fahren in die Disco?!«
»Eben.«
»Aber warum soll ich mich dann umziehen?«
»Weil du so nicht reinkommst.«
»Du kommst hier nicht rein« – nach »Was guckst du?!« die zweite Klischee-Phrase, die offensichtlich auch in der Realität existiert.
»Aber warum komme ich in einer Levis 501 und einem roten T-Shirt nicht rein?«
»Weil du was Schickeres brauchst.«
»Aber ich habe nichts Schickeres. Ich trage keine Anzüge oder so was. Alle meine Klamotten sind so.«
»Dann gehen wir dir was kaufen.«
»Am Samstag um 22 Uhr?«
»Klar, ein Cousin von uns hat 'nen Klamottenladen ... Der macht für uns auf.«
Ich widerstehe der Versuchung, das genaue Verwandtschaftsverhältnis zu dem Cousin zu erfragen, weil ich mir sowieso nicht alle Namen merken kann, aber die Frage hängt wohl doch irgendwie in der Luft, und Cem beantwortet sie:
»Es ist Ayses Sohn Kenan. Hala Ayse, nicht Teyze Ayse.«
»Hala? Teyze?«
»Hala ist die Tante väterlicherseits, Teyze mütterlicherseits.«
Die Türken haben wesentlich mehr Vokabeln, um Verwandtschaftsverhältnisse zu benennen – dafür fehlen ihnen Begriffe wie »Anwohnerparkausweis«, »Fremdrasen« und »Fahrstuhlmitbenutzungspauschale«. Eine Sprache zeigt immer die Prioritäten der Menschen an, die sie sprechen.
Auf dem Tacho sehe ich, dass wir gerade mit knapp 90 km/h durch eine Tempo-30-Zone brettern. Die einzige Geschwindigkeitsbegrenzung für Türken ist die Grenze zum Irak.
Cem parkt mit quietschenden Reifen in einer Ausfahrt direkt neben einem Klamottenladen und hupt. Ein Fenster öffnet sich, und ein Typ mit Kevin-Kurányi-Bart und gegelten Haaren, bei dem es sich um Hala Ayses Sohn Kenan handeln muss, brüllt die Information, dass er gerade mit der Endausscheidung verdauter Nahrung beschäftigt ist, so laut durch die Weidengasse, dass Kardinal Meisner im anderthalb Kilometer entfernten Dom auf jeden Fall informiert ist.
Fünf Minuten später geht das Licht im Laden an. Kenan öffnet die Tür, begrüßt Cem mit einem coolen Hip-Hop-mäßigenEinschlag-Ritual, das ich anschließend zu imitieren versuche, womit ich immerhin keinen Lachanfall bei den beiden auslöse.
»Das ist Daniel, Aylins Verlobter. Der braucht ein paar coole Klamotten für die Disco.«
»Okay, kein Problem.«
Kenan mustert mit geübtem Blick meine Körpermaße, huscht dann zwischen diversen Kleiderstangen hin und her. Nach nicht einmal einer Minute kommt er zurück – mit einem schwarzen Satin-Anzug, einem langärmeligen weißen Feinripp-Shirt mit den offenbar obligatorischen keltischen Zeichen und schwarzen Lackslippern:
»So, zieh das an, Eniste. Damit siehst du nicht mehr so studentenmäßig aus.«
Ich sehe studentenmäßig aus? Aha. Ich nehme die Klamotten mit in die Umkleidekabine. Die Hose ist zu eng.
»Äh, ich glaube, die Hose müsste eine Nummer größer...«
»Was ist das denn da?«
Kenan zeigt auf meine schlabberigen Boxershorts.
»Das ist meine Unterhose.«
»Kein Wunder, dass es nicht passt. Warte!«
Kenan verschwindet kurz und gibt mir dann eine Unterhose in die Hand, die er aus dem Beate-Uhse-Katalog bestellt haben muss: schwarz, eng, glänzend, und an den Seiten durchsichtige Streifen. Ich schaue ihn ungläubig an.
»Zieh das an, Eniste. Dann passt die Hose.«
Die Entwicklung der Männermode funktioniert offensichtlich so: Erst kommt es in die Sexshops, dann erobert es den Alltag. Zuerst tragen es die Schwulen, dann die Türken, und am Ende die heterosexuellen Deutschen. Ich ziehe meine Boxershorts aus und streife mir diesen Hauch von Nichts über den Hintern. Ich betrachte mich im Spiegel und werde für etwa 30 Sekunden von einer homophoben Angstattacke heimgesucht. Dann verspüre ich eine leichte Übelkeit, weil ich mich an einen RTL-Explosiv-Bericht über einen Swingerklub erinnere, wo ein gut 60-jähriger Sabbersack etwas Ähnliches trug und damit eine verklemmte 35-Jährige mit Kassengestell sexuell zu erregen versuchte, die unter ihrem roten Lackbody den beigen Schiesser-BH anbehalten hatte.
Dann beruhige ich mich mit der Erkenntnis, dass Batman doch auch so ähnlich gekleidet ist, und der ist weder homosexuell noch ein Sabbersack. Wenn man einfach beschließt, dass es nicht albern ist, dann sieht es eigentlich sogar sexy aus. Sexy? Ich, Daniel Hagenberger, sexy??? Mir wird schlagartig bewusst, dass ich noch nie über die Möglichkeit
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