Machos weinen nicht
die Religion der starken und kühnen Menschen.«
»Ja?«
»Versuche, mehr zu meditieren. Achte darauf, wie dein Geist beschaffen ist. Das ist sehr wichtig. Lies mehr.«
»Ich werde mich bemühen.«
»Nach einer gewissen Zeit werden wir für dich einige Rituale durchführen. Aber die Hauptsache ist – versuche, die Natur deines Geistes zu verstehen. Wer die Natur des Geistes versteht, hat die Möglichkeit, richtig zu sterben. Das ist sehr wichtig.«
»Aber wie lernt man denn, richtig zu leben? Was muss man dafür tun?«
»Ein ungetrübter Geist, das ist das wahre Licht Buddhas. Verstehst du?«
»So ungefähr.«
»Wenn es Probleme gibt, komm zu mir, genier dich nicht. Ich würde mich freuen, dir zu helfen.«
»Danke.«
»Du brauchst wirklich keine Tabletten? Gute Besserung. Komm demnächst mal auf mein Zimmer. Ich werde dir sehr gute Lehrbücher zur Meditation geben.«
»Danke.«
Die Delegierten begaben sich in den Garten. Die Malaien räumten das schmutzige Geschirr von den Tischen. Brigitta kaute noch auf graubraunem Fleisch. Vielleicht war es Leber. Vielleicht war es meine Leber, die nach dem gestrigen Tag aufgehört hatte zu arbeiten.
»Dein Freund hat gesagt, du bist Journalist? Du hättest wirklich zur Eröffnungszeremonie kommen sollen. Es war sehr schön. Alle haben gemeinsam gebetet. Die Vertreter aller Weltreligionen – gemeinsam. Ich glaube, das ist sehr wichtig.«
»Und zu wem haben sie gebetet?«
»Mich hat man beauftragt, das Grußwort der belgischen Delegation vorzulesen. Schade, dass du nicht kommen konntest.«
»Gut, dass ich überlebt habe.«
»Was?«
»Vergiss es.«
Brigitta hatte schwarz lackierte Fingernägel. Mir fiel auf, dass ihr linker Arm vom Handgelenk bis zum Ellbogen von Narben zerschnitten war. Einige waren dicker als mein kleiner Finger. Ein energisches Mädchen.
»Fährst du zum Baden?«
»Baden?«
»Alle, die Lust haben, können sich gleich zum Strand fahren lassen. Fährst du mit?«
»Ja, wirklich, fahren wir! Du nimmst ein Bad, und dann geht es dir besser.«
»Baden? Na, gut. Einen Augenblick nur, ich laufe eben nach oben und ziehe meine Badehose an.«
Im klimatisierten Bus war es dämmrig und kühl. Ich setzte mich ans Fenster, und Brigitta setzte sich neben mich. Kater und Klaustrophobie – keine üble Mixtur, oder? Hinter uns schwatzte man in einer unbekannten Sprache. Wir schwatzten auch über irgendwas. Ich bemühte mich, nicht in Brigittas Richtung zu atmen.
Der Autobus fuhr über eine enge Bergstraße. Stellenweise erinnerte sie an das Möbius-Band. Endlose grüne Hügel, die ein wenig picklig wirkten. Die Erde krümmte sich wollüstig, hielt ihre zahllosen Brüste fremden Händen hin. Über die abfallenden Hügel krochen wasserüberflutete Terrassen. Hier und da krabbelten bunte kleine Gestalten auf ihnen herum.
Ich fragte Brigitta nach dem Namen des Ortes, zu dem wir fuhren. Sie wusste es nicht. Einmal glitten am Fenster die Ruinen einer antiken Festung vorbei. Ich konnte die oxidierten Kanonenrohre erkennen. Dann begann der Dschungel. Vielleicht gab es in ihm noch so was wie echte, undressierte Nilpferde. Der Fahrer parkte auf einem asphaltierten Platz. Ich kletterte nach draußen und sah mich um. Die Farbenpalette war so lala. Von unten nach oben folgten aufeinander die grüne Stadt, der graue Strand, das grüne Meer, die grauen Berge, die grünen Wolken und ganz zuoberst – der graue Schirm meiner Kappe.
»In drei Stunden fahren wir zurück. Kommen Sie bitte nicht zu spät.«
Die Delegierten stapften mit einknickenden Knien nach unten, zur Stadt. Jeder hatte eine Sonnenbrille auf und eine Kamera vor der Brust. Alle unterhielten sich laut. Wir drei bummelten als Letzte hinterher.
Das namenlose Städtchen war winzig. Es stieg an und fiel wieder ab. Mir wurde davon schwindlig. Nur wenige Menschen waren auf den Straßen. Brigitta wollte etwas kaufen. Das Souvenirlädchen war geschlossen, aber als der Besitzer die Europäer erblickte, begann er umherzuhasten und riss die Tür weit auf. Den englischen Satz »Wie kann ich Ihnen helfen?« las er vom Papier ab. Auf dem Ladentisch waren lackierte Muscheln ausgebreitet, chinesische Fächer, schwarze Statuetten, winzige Köcher mit Pfeilen, getrocknete Haiköpfe, klirrende Amulette, Schiffchen, die in Rumflaschen montiert waren. Rum! – Scheiße! – Sollte ich etwa?! – Irgendwann?!
Das Städtchen ging fließend in den Strand über. Die Häuser wurden von Buden mit Trinkwasserfontänchen
Weitere Kostenlose Bücher