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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ankowitsch
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einer Masse werden, uns also im wahrsten Sinne des Wortes dem Mainstream fügen. Diese «Hauptströmung» hat den großen Vorteil, ruhig und gleichförmig dahinzugleiten und uns mitzutragen. [75]
    Von Helbings Untersuchung der Fußgängerströme können wir auch lernen, daß wir nicht nur Teil der Masse sind, sondern das Verhalten dieser Masse auch unmittelbar mitbestimmen. Zumindest im kleinen. So reagieren wir als Fußgänger erst einmal nur auf unsere unmittelbaren Nachbarn, also auf unsere Vorder- und Hinterleute bzw. die Menschen neben uns. Das Resultat dieser Umsicht: Wir stimmen unsere Bewegungen mit denen der anderen ab, versuchen eine angemessene Distanz zu halten, beschleunigen und verlangsamen unser Tempo je nach konkreter Situation und beeinflussen somit wiederum das Verhalten der anderen. Vom langen Strom der friedlich dahinschlendernden Menschen hingegen haben wir als einzelne Fußgänger keine Ahnung. Das große Ganze, die von geordnetem Leben erfüllten Innenstädte, zeigt sich uns erst, wenn wir das Geschehen aus einer deutlich größeren Entfernung betrachten. Das bedeutet: Ohne den Hauch einer Idee zu haben, woran wir da beteiligt sind und welche Rolle wir spielen, wirken wir an einer komplexen und meist auch intelligenten Struktur mit. Würde uns jemand auf die Schulter tippen, während wir gedankenverloren durch die Innenstadt trotten, und uns fragen, was wir da tun – keiner von uns würde eine Antwort darauf wissen. Die meisten würden den Fragenden bloß mit großen Augen ansehen: «Was meinen Sie denn?» Wissenschaftler wie Helbing sprechen von «Interaktionen auf der Mikroebene» zwischen den einzelnen Menschen; diese wiederum würden zu «Strukturen auf der Makroebene» führen, die den Verlauf der langen Fußgängerströme durch die Fußgängerzonen dieser Welt bestimmen.
    Wie genau dieser Sprung vom Kleinen ins Große, vom Einzelnen in die Masse geschieht, weiß die Wissenschaft bloß theoretisch zu begründen. Das entsprechende Stichwort lautet «Emergenz» und bezeichnet das Phänomen, daß sich aus dem Zusammenwirken vieler einzelner Elemente eine neuartige Struktur bilden kann, deren Qualität in den einzelnen Elementen nicht zu finden ist; und doch sind diese Elemente die Basis des Neuen. So hat Helbing zum Beispiel beobachtet, wie sich zwei Fußgängerströme kreuzen. Entgegen der naheliegenden Annahme, es komme zu einem heillosen Durcheinander, zeigte sich vielmehr, daß die Menschen eine Art Streifenmuster herausbilden; dadurch wird es möglich, daß die beiden Fußgängerströme einander durchdringen, ohne daß irgend jemand anhalten müßte. Ein Musterbeispiel an Effizienz, für das im Idealfall niemand unmittelbar verantwortlich ist, weil es aus sich selbst heraus entsteht. Wem dieses Beispiel zu wenig spektakulär erscheint, der sollte in den Wald gehen und den Ameisen dabei zusehen, wie sie riesige Haufen aufschichten, deren Inneres von ausgeklügelten Belüftungs- und Versorgungswegen durchzogen wird – und sich angesichts dieser Meisterleistung der Ingenieurskunst fragen, wie denn die vielen dummen Ameisen so etwas hinbekommen können. Es versteht sich von selbst, daß rationale Wissenschaftler wie Helbing auf die Frage, ob das nicht an ein Wunder grenze, das einen religiös werden lassen könnte, sehr irritiert dreinschauen. Was für ein Unfug! Und doch nötigen diese Phänomene vielen Menschen immer wieder von neuem einen Respekt ab, der nach Erklärungen verlangt. Der britische Biologe Rupert Sheldrake hat es versucht – und sich den Vorwurf eingehandelt, zum Esoteriker geworden zu sein: Die Ursache für all diese erstaunlichen Entwicklungen liege in «morphischen Feldern», also einer Art Matrix, einem unsichtbaren Bauplan der Natur. Diese Felder seien bereits vorhanden und leiten die Ameisen auf nicht sichtbare Weise an, ihren Beitrag zu dem erstaunlichen Ameisenhaufen zu leisten.
    Der Hang, uns an anderen zu orientieren und sie zugleich zu beeinflussen, läßt sich nicht nur in den Fußgängerzonen beobachten, sondern im Grunde – überall. Wo immer wir in Gesellschaft sind, modellieren wir die Aktivitäten, die Wünsche und die Bewegungen der anderen und diese wiederum unser Ich. Weniger freundlich (und weniger wissenschaftlich) formuliert: Wir Menschen pfuschen einander ständig ins Zeug. Das Phänomen an sich ist bekannt. Nicht so bekannt sind dessen vielfältige konkrete Auswirkungen. Daher ist Dirk Helbing gemeinsam mit drei Kollegen der Frage

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