Mach's falsch, und du machst es richtig
eingreifen oder den anderen von einem Irrtum abbringen zu können – oder um wenigstens von uns selber gut dazustehen, weil wir ja rechtzeitig und nachdrücklich auf das Falsche, Unpassende oder Irrwitzige hingewiesen haben.
Auf welch subtile, aber durchaus spürbare Art es ein System beeinflussen kann, wenn man uns die Möglichkeit nimmt, auf direkte Weise «nein» zu sagen, zeigt uns ein Blick auf Facebook. Das weltgrößte soziale Netzwerk bietet nämlich eine Unzahl von Funktionen an, die es den Mitgliedern erlauben, miteinander zu kommunizieren (oder sich einfach nur die Zeit zu vertreiben): Nachrichten auf Pinnwände zu schreiben, Links zu teilen, Fotos hochzuladen, Meinungen auszutauschen, die Meinungen anderer zu kommentieren und die kommentierten Kommentare zu kommentieren. Und es gibt eine Funktion, die mittlerweile zu einem Inbild von Facebook geworden ist: Sie versteckt sich hinter einem kleinen, unscheinbaren Link. Er heißt «Like». Und damit auch jeder versteht, wozu er da ist, hat man das Icon einer Hand davorgesetzt, die eine Faust bildet und den Daumen nach oben streckt. «Gefällt mir» soll das bedeuten, und genau so nennt sich der Button auch auf der deutschen Seite. Der Link befindet sich an allen möglichen Seiten auf Facebook, und wenn man ihn anklickt, signalisiert man den anderen ohne große Worte, daß man das entsprechende Foto, den entsprechenden Kommentar, den entsprechenden Menschen mag.
Es gibt einen Grund, warum ich diesen unscheinbaren, aber mächtigen Button erwähne. In dem Gestrüpp aus Knöpfen und Links und Bildchen und E-Mails und Statusmeldungen, das Facebook auf seinen Seiten errichtet hat, wird man nämlich
eine
Funktion vergeblich suchen: einen Button, mit dessen Hilfe man «nein» sagen kann oder «Gefällt mir nicht» oder «Alles Mist hier». Da hilft alles Suchen nichts – keiner da. Vielmehr besteht das Universum von Facebook bis zum heutigen Tag aus Zustimmung. Selbstverständlich erlaubt das Netzwerk seinen Mitgliedern, ihre Meinung frei zu äußern. Doch die Sache mit dem fehlenden Button scheint viele Menschen umzutreiben: Begibt man sich auf die Suche nach dem Facebook-Nein, stößt man auf eine lange Liste an Diskussionsseiten, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Betreibern des Netzwerks einen «Dislike»-Button abzutrotzen. Bislang ohne Erfolg. Und das, obwohl die entsprechenden Fanseiten viele Unterstützer gewinnen konnten. So zählt die Gruppe «We Want a Dislike Option» im Juli 2011 rund 2 , 4 Millionen Unterstützer und jene mit dem lapidaren Namen «Dislike Button» 3 , 3 Millionen. Doch Facebook bleibt hartnäckig und verwehrt seinen Mitgliedern die Chance zum Neinsagen. Wie im übrigen auch Netzwerk «Google+», das es seinen Mitgliedern nur erlaubt, bevorzugte Dinge mit einem «+ 1 » zu markieren.
Es würde sich lohnen, länger darüber nachzudenken, was es bedeutet, wenn wir von Facebook ständig dazu animiert werden, etwas zu «mögen» – also ein
Gefühl
zu äußern bzw. nach einem zu suchen. Also auch in Situationen, in denen es etwa um intellektuelle Debatten geht, in denen man besser «verstehe ich nicht» oder «dem stimme ich zu» sagen sollte. Aber ganz offensichtlich will man keine ambivalenten Positionen von uns erfragen, sondern einfach verwertbare Statements, die sich ebenso einfach kommerzialisieren lassen. Ich gehe davon aus, daß sich der Charakter von Facebook ändern würde, wenn man zumindest einen «Dislike»-Button einführte, wenn nicht überhaupt jede Menge «Weiß nicht»-, «Mir egal»- oder «Muß ich drüber nachdenken»-Buttons. Das ist eine bloße Vermutung. Aber zieht man ein anderes Beispiel zum Vergleich heran, dann wird sie plausibel. Die Rede ist von der Sprache, in der deutsche Arbeitszeugnisse verfaßt werden. Vor über fünfzig Jahren hat nämlich der deutsche Bundesgerichtshof entschieden, daß sich Unternehmen keinesfalls negativ über ihre Angestellten äußern dürfen, wenn diese sie verlassen – um deren weitere Karriere nicht zu gefährden. Das heißt: Es wurde den Firmen explizit verboten, Negationen zu verwenden. Weshalb ihnen nur mehr das Lob als Mittel diente, die Wahrheit zu sagen. Es gibt mittlerweile eigene Homepages, die bei der Dekodierung der solcherart entstandenen Zeugnisse helfen sollen. Das Resultat: Waren sie
unzufrieden
, dann loben sie ihren Ex-Mitarbeiter auf eine Weise, die jedem normalen Schüler als Heiligsprechung erscheinen muß, waren sie
wirklich
zufrieden, füllen
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