Mach's falsch, und du machst es richtig
würden. Die Empfehlung, uns vorzustellen, welchen nicht existierenden Dingen wir unser Glück verdanken, mutet absurd an, ist es aber nicht. Denn genau das machen wir jeden Tag von neuem, nur mit leicht verschobenem Akzent. So denken wir immer wieder darüber nach, was wir
noch nicht
erreicht haben. «Was? Immer noch nicht weitergekommen? Keine größeren Erfolge gefeiert? Keine längeren Strecken gelaufen?» Das übliche Programm der Selbstbezichtigung eben. Auch in diesem Fall machen wir unser Wohlbefinden von nicht existenten Ereignissen oder Zuständen abhängig. Es spricht meines Erachtens
nichts
dagegen, immer wieder mit dieser Gewohnheit zu brechen. Um auf einem paradoxen Weg zu der Erkenntnis zu gelangen, daß wir ziemlich glückliche Menschen sind – bei
der
Menge an Dingen, die wir
nicht
haben und die uns
nicht
zugestoßen sind.
Nein sagen zu können ist eine wichtige Voraussetzung, um sich zu einem selbständigen Menschen zu entwickeln. Daher üben sich bereits Zweijährige darin, indem sie Schüsseln mit Karottenbrei werfen.
All das klingt nach einem sehr großen Erfolg für die atheistische Sache. Doch sehen wir ein wenig genauer hin, wird sich zeigen, daß die Anti-Gott-Kampagnen des Jahres 2010 allesamt recht paradoxe Projekte waren. Es beginnt damit, daß Ariane Sherine sich dazu von jemandem provozieren ließ, den es ihrer Ansicht nach
nicht
gibt. Um ihn dann auf eine Art zu behandeln, als gäbe es ihn
doch
. So schreibt sie in ihrem ersten Artikel: «Ein Mann mit einem Bart wird für immer über dich aufgebracht sein, weil du dich weigerst, seine Existenz anzuerkennen, ungeachtet des Umstandes, dass er zu unsozial ist, auf die Erde zu kommen, um ‹Hallo› zu sagen.» Wer solcherart bedroht werde, so Sherine weiter, sei versucht, sich vor einen der Busse zu werfen, auf denen die erwähnten Anzeigen prangten. Warum denn das? wird sich da jeder logisch Denkende fragen. Wie kann mich jemand, der nicht existiert, bedrohen? Wie kann mich jemand, von dem ich annehme, er sei dem Wahn anderer entsprungen, dazu bringen, mich vor einen Bus zu werfen? Gibt es ihn vielleicht doch? Und wenn ja, wie paßt das mit dem eigenen Selbstverständnis als Atheist zusammen? Wir könnten diese Textpassage als fröhliche Ironie verstehen (und als einen guten Gag), hätte es Sherine damit bewenden lassen und sich kopfschüttelnd von den vorbeirauschenden Bussen abgewandt. Hat sie aber nicht. Vielmehr verfiel sie gemeinsam mit Richard Dawkins in monatelange Betriebsamkeit, um die Frage aus der Bibel zu beantworten; und ließ sich diese Antwort eine Menge Geld kosten (wenn es auch das Geld anderer Menschen war).
Doch damit nicht genug der Paradoxien: Die lancierte Buskampagne wurde nämlich ein großer Erfolg, zumindest waren die klassischen Medien voller Berichte, Twitter und viele Blogs ebenfalls. Auch das ein eigenartiges Phänomen, das so recht nicht verständlich ist. Der Ökonom Steven Levitt, Co-Autor des Bestsellers «Freakonomics», nimmt in seinem Blog [199] das Buch von Richard Dawkins zum Anlaß, um über den Erfolg von Anti-Büchern nachzudenken. So findet es Levitt zwar nachvollziehbar, daß sich beispielsweise Titel verkaufen, in denen Liberale attackiert würden, denn «viele Konservative hassen Liberale», und darin wolle man sich gerne bestätigt sehen. Der Erfolg von Dawkins jedoch bleibt Levitt ein Rätsel. «Niemand schreibt Bücher darüber, daß es Zeitverschwendung ist, Vögel zu beobachten; alle Menschen, die keine Vögel beobachten, mögen der These zwar zustimmen, haben aber keine Lust, 20 US -Dollar dafür auszugeben, um das zu lesen.» Menschen, die Gott ablehnten, müßten sich doch eigentlich genauso verhalten, mutmaßt Levitt. Daher sei es doppelt überraschend, «daß Anti-Gott-Bücher nicht mit demselben Gähnen aufgenommen werden wie Anti-Vogelbeobachter-Bücher», sondern zu Bestsellern würden.
Und schließlich ist da die Frage nach dem Erfolg der atheistischen Buskampagne. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß Sherine & Co. gescheitert sind. Denn wer einen Bus losschickt, auf dem steht, es gebe
keinen
Gott, will vor allem eines: die anderen davon überzeugen, daß sie sich die Idee aus dem Kopf schlagen sollen. Gott sei ein Irrtum, sagen sie. Nicht weil er die falschen Ideen vertrete, sondern weil es ihn schlicht und einfach
nicht
gebe. Na gut, höchstwahrscheinlich nicht. [200] Atheisten formulieren also eine Negation, indem sie sagen, etwas oder jemand existiere
nicht
. Und
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