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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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der Wind in seinen Ohren, schien ihn zu verhöhnen, grub sich mit spitzen Zähnen in sein Gesicht. Kurz darauf streichelte er sanft seinen nackten Schädel. Nur um wenig später abermals mit einer teuflischen Peitsche auf ihn einzudreschen. Es war, als focht der Winter einen Kampf mit sich selbst aus.
    Ein Blick zurück brachte die Gewissheit, zumindest vorerst entkommen zu sein: Das Terminal war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Die Verwehungen löschten seine Fußspuren unwiederbringlich aus. Er musste schon großes Pech haben, wenn man ihn jetzt noch aufspürte. Schwer keuchend verlangsamte er seine Schritte. Mit der freien Hand wischte er sich kleine Eisklumpen ab, die an seinen Wangen hafteten. Er spürte sie nicht mehr. Seine Lippen, seine Nase, alles war nur noch taub. Selbst seine Gedanken wollten nicht mehr in Fahrt kommen. Er irrte ziellos durch das orkanartige Treiben.
    Wie aus dem Nichts wuchsen Büsche in dem apokalyptischen Durcheinander vor ihm auf. Zumindest nahm er an, dass die unförmigen Gebilde, die sich unter der Schneedecke erhoben, Sträucher waren. Er zwängte sich hindurch. Geäst zerkratzte sein Gesicht. Jäh riss der Boden unter ihm auf. Er stürzte einen Abhang hinunter, wälzte sich durch den Schnee. Doch seine Finger ließen dabei nicht vom Koffergriff ab.
    Er landete auf den Füßen. Wie ein Schneemann stand er da. Sein Blick flog umher. Wo war er? Wohin wollte er? In was für eine ausgemachte Scheiße war er geraten? Falsche Frage! Er hatte den Attentäter erwischt und ihm die Bombe entwendet. Auftrag ausgeführt.
    Jetzt musste er nur noch den Koffer loswerden. Deshalb setzte er sich in Bewegung, auch wenn ihm nach wie vor nicht klar war, wohin. Aber fand sich nicht immer ein Weg? Er musste nur dran glauben. Akzeptiere es!
    Kurz darauf passierte er eine Straße. Er brauchte ihr nur zu folgen. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass es sich bei dem vereisten Asphalt unter seinen Füßen nicht um eine Straße, sondern um die Startbahn handelte. Er befand sich auf dem Flugfeld. Auch das noch!
    Als wäre das nicht genug, tauchte ein Schatten aus dem Gestöber auf. Der Schemen verwandelte sich in eine Person. Zielstrebig eilte sie ihm entgegen. Sie kam ihm bekannt vor. Kahlscheuer? Aber wie hatte der Priester Philip gefunden? Das Schneegestöber hatte ihn so schnell verschluckt, niemand konnte wissen, wohin er verschwunden war.
    Du musst… treffen!, hatte seine Großmutter auf ihrem Krankenbett gesagt. Damals hatte er vergeblich von ihr zu erfahren versucht, wen sie meinte. Noch ehe sie ihn hatte aufklären können, war seine Oma erschöpft in die Bewusstlosigkeit abgedriftet. Wenige Stunden später war sie tot gewesen.
    Die Aussichtslosigkeit, die er in jenem Moment empfunden hatte, die Angst, niemals herauszubekommen, wen er treffen musste, kam ihm nun überflüssig vor. Er war überzeugt, dass der Moment der Begegnung gekommen war.
    Der Mann, der vor ihm stand, war der Reisende aus der Zukunft. Aus dem Jahr 2018. Er war wie Philip durch die Zeit gereist, um Leben zu beschützen. So musste es sein. Fragte sich nur: wessen Leben?
    Er war wie Philip über und über mit Schnee bedeckt. Als er sich über den Kopf fuhr, erkannte Philip, dass er ebenfalls eine Glatze trug. Er war genauso groß wie Philip. Er war nur einige Jahre älter. Zufrieden nickte er. »Philip!«
    Der Koffer entglitt seiner Hand, als er antwortete: »Ich!«
     
     
    Rom
     
    »Der alte Mann ist heute gestorben!«
    Bischof de Gussa war gespannt auf die Reaktionen, als er in dem Haus in der kleinen Gasse nahe der Piazza Nivona vor seine Freunde des Offiziums trat. Das Gemurmel, das entbrannte, die aufgebrachten Stimmen alter Männer, zeigte ihm, dass sich seit ihrem letzten Treffen nicht viel verändert hatte.
    Ebenso wenig überraschend war es, dass Boris Garnier, der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, mit lauter Stimme das Wort ergriff und die versammelte Schar zum Schweigen brachte. Garnier schwang sich nicht mehr nur zum Anführer der Opposition auf, er war es bereits. »Warum ist er gestorben?«
    »Weil er alt war.«
    »Das ist alles?«, ätzte Fabricio Lucarno, der junge Abt aus New York, der im Offizium die Nachfolge des New Yorker Bischofs Laurent Bone angetreten hatte. »Weil er alt war?«
    Monsignore Mundaste, der südafrikanische Bischof, stimmte nuschelnd zu. Von seinem niederländischen Akzent war kaum etwas zu verstehen. Ein Prälat, der weiter hinten im Schatten saß,

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