Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
angesehenen und weltweit operierenden Weinimperium aufsteigen lassen.
Da Hannah ihrer ältesten Enkelin stets vorgeworfen hatte, zu viel Geld auszugeben, war es nicht zu der Expansion gekommen, die Annie sich erträumt hatte. Rachel war zwar nicht grundsätzlich gegen eine Expansion, aber sie befürwortete eine langsame Vorgehensweise, was nur unwesentlich besser war als Hannahs Einstellung. Wie sollte ein Unternehmen große Erfolge erzielen, wenn die Leute an der Spitze nicht dann und wann ein paar Risiken eingingen?
Plötzlich bog Rachels roter Cherokee in die Zufahrtsstraße ein, gefolgt von Sams altem Audi. Annie konnte sich ein kurzes, sarkastisches Lachen nicht verkneifen. Sam und Tina waren so glücklich gewesen, dass Rachel das Weingut erbte. Dass sie nicht aufgestanden waren und gejubelt hatten, war eigentlich ein Wunder gewesen.
„Freut euch nicht zu früh, meine Freunde“, sagte sie laut. „Und glaubt nicht, dass ich aus dem Rennen bin.“
Mit vor der Brust verschränkten Armen sah sie zu, wie Rachel aus dem Jeep stieg und über den Hof ging. Als sie in den Weinkellern verschwunden war, kehrten Annies Gedanken zurück zu dem Tag, an dem Grandma gestorben war. Sie dachte an die Worte, die sie ihr zugeflüstert hatte. Rachels leibliche Mutter lebt.
Obwohl Annie Rachel diese Nachricht hatte zukommen lassen wollen, hatte sich keine Gelegenheit dazu ergeben. In ihrer Trauer und mit einem wahren Strom von Besuchern konfrontiert und zudem noch mit den Vorbereitungen für die Beerdigung beschäftigt, hatte sie Grandmas Geständnis völlig vergessen. Bis zu diesem Moment.
Was für eine unglaubliche Enthüllung, überlegte Annie. Und wie sonderbar, dass Grandma aus der Existenz dieser Frau einunddreißig Jahre lang ein Geheimnis gemacht hatte. Wer war diese mysteriöse Alyssa? Welchen Grund konnte es wohl geben, dass die Spaulding-Familie das Gerücht in die Welt gesetzt hatte, Rachels Mutter sei bei der Geburt gestorben?
Annie klopfte mit einem Finger leicht auf ihre Unterlippe. Wäre es nicht wunderbar, wenn da irgendwo ein schöner kleiner Skandal verborgen war? Ein so handfester Skandal, der Ambrose dazu zwingen würde, die Klausel in Hannahs Testament in Kraft treten zu lassen?
Von einer plötzlichen Hoffnung erfüllt, ging Annie zurück zum Schreibtisch und nahm Platz. Es musste möglich sein, das herauszufinden. Natürlich so, dass niemand davon erfuhr.
Du hast ein Versprechen gegeben, Annie. Du hast einer sterbenden Frau ein Versprechen gegeben.
Genau genommen hatte sie das nicht gemacht. Sie war an dem Morgen viel zu aufgeregt gewesen, um irgendwas zu sagen. In dem Moment, als sie Hannah versichern wollte, ihren letzten Wunsch zu erfüllen, war ihre Großmutter gestorben.
Sie hatte also nichts versprochen und konnte sich daran machen, dieser faszinierenden Angelegenheit nachzugehen.
Nur – wie sollte sie vorgehen, wenn sie Alyssas Nachnamen nicht kannte? Vielleicht hatte die Nonne, von der Grandma gesprochen hatte, die Antwort. Vielleicht lebte sie noch und war bereit zu reden.
Oder sie konnte einen Privatdetektiv einschalten, jemanden, der sich auf Vermisste spezialisiert hatte. Ja, das war wohl sicherer, als persönlich nach Santa Rosa zu fahren und Gefahr zu laufen, dass man sie erkannte. Derjenige, den sie beauftragen würde, musste allerdings sehr diskret vorgehen. Sie konnte es sich nicht leisten, Rachel oder Ambrose merken zu lassen, dass sie die Suche nach Alyssa in die Wege geleitet hatte.
Nach einiger Zeit zeichnete sich auf ihrem Gesicht ein schwaches Lächeln ab. Natürlich. Gregory Shaw. Warum hatte sie nicht gleich an ihn gedacht? Er war genau der richtige Mann. Er war klug, erfinderisch, erfahren und vor allem diskret.
Er war außerdem aber auch ein Mann mit Prinzipien, und es konnte ein Problem werden, ihn davon zu überzeugen, dass er den Fall übernahm. Annie brauchte nicht einmal eine Minute, da wurde ihr Lächeln breiter. Sie wusste genau, wie sie dieses Hindernis umgehen konnte.
„Nein, Mrs. Bigsbie“, sagte Gregory Shaw geduldig. „Wir stellen keine Leibwächter. Und wir befassen uns auch nicht mit Scheidungen. Empfehlen kann ich Ihnen ...“
Ein Sperrfeuer aus Widerworten am anderen Ende der Leitung unterbrach ihn mitten im Satz. Was das heißen sollte, dass er sich nicht mit Scheidungen befasste? Und dass er keine Leibwächter stellte? Was für ein Privatdetektiv sei er eigentlich, wenn er nicht mal ihre Tochter vor deren gewalttätigem Ehemann schützen
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