Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
vergeben.“ Gregory ging um den Tisch herum und nahm Platz. „Jeder hat das Recht, seine Meinung zu sagen.“
„Das solltest du ja wissen, immerhin hast du auch nie um den heißen Brei herumgeredet.“
Das Geplänkel war zwar ganz unterhaltsam, begann ihn aber bald zu langweilen. Gregory lehnte sich zurück und legte seine Fingerspitzen so aneinander, dass sie eine Pyramide bildeten. „Was möchtest du, Annie?“
Sie wechselte sofort in einen geschäftsmäßigen Ton. „Ich muss jemanden finden, und dafür brauche ich deine Hilfe.“
„Tut mir Leid“, sagte er kopfschüttelnd zum zweiten Mal an diesem Tag. „Um diese Dinge kümmere ich mich nicht mehr.“
„Ich weiß.“ Sie sah sich um, begutachtete die eleganten Teakmöbel, den antiken Orientteppich, die rundum verlaufenden Fenster und die herrliche Aussicht. „Du hast viel erreicht seit diesem Loch in der Laguna Street.“
Gregory griff nach seinem Notizblock. „Ich kann dir einen anderen Privatdetektiv empfehlen.“ Dylon, alter Freund, dachte er, während er zu schreiben begann, du schuldest mir ein Bier.
„Ich will keinen anderen Detektiv“, sagte Annie im gleichen Moment. „Ich will dich, Gregory, keinen anderen.“ Sie beugte sich vor und erlaubte ihm einen ungehinderten Blick in ihr weit ausgeschnittenes Dekolletee. „Sag mir, dass du das übernimmst. Bitte. Um der alten Zeiten willen?“
„Wenn ich könnte, würde ich es machen“, log er. „Aber ich gehe im Augenblick in Arbeit unter, und es ist kein Land in Sicht.“
Sie sah geknickt aus. „Du wirst mir nicht helfen?“
„Tut mir Leid.“
Zu seiner Überraschung ließ sie ihren Kopf in die Hände sinken und brach in Tränen aus.
Einige Sekunden lang konnte er sie nur anstarren. So wie die meisten Männer, die er kannte, fühlte er sich unbehaglich, wenn in seiner Nähe eine Frau weinte. Zum Glück waren seine Exfrau und seine zwölfjährige Tochter nicht von dieser Sorte, obwohl Letztere allmählich dahinterkam, dass hier und da ein paar Tränen sehr hilfreich waren, um ihren Willen durchzusetzen. „Annie, bitte hör auf“, sagte er. Etwas Besseres kam ihm nicht in den Sinn.
Seine Bitte verhallte ungehört.
Gregory fühlte sich mies und ging um den Schreibtisch herum, um sich vor sie zu knien. „Komm schon, Annie“, sagte er, während er ein strahlend weißes Taschentuch aus der Brusttasche holte und ihr reichte. „So schlimm kann es gar nicht sein.“
„Doch.“ Sie nahm das Taschentuch und trocknete ihre Tränen, verwischte aber zugleich ihre Wimperntusche. „Mein Leben ist ein einziger Scherbenhaufen.“
Als er diese Worte hörte, versetzte er sich innerlich einen Tritt, dass er nicht schon früher etwas gesagt hatte. Hannah Spaulding. Er hatte letzte Woche im Chronicle von ihrem Tod gelesen. Annie hatte ihre Großmutter geliebt, so wie jeder Hannah geliebt hatte, der sie kannte. Kein Wunder, dass sie so außer sich war. „Das mit deiner Großmutter tut mir Leid“, sagte er sanft. „Ich weiß, wie viel sie dir bedeutet hat.“
„Sie war alles für mich.“ Sie schneuzte ihre Nase, rieb sich wieder die Augen und verschmierte ihre Wimperntusche noch mehr. Dann fügte sie hinzu: „Sie hat Rachel das Weingut vererbt.“
Gregory stand auf und lehnte sich gegen den Schreibtisch. Das war es also. Das Erbe, mit dem Annie gerechnet hatte, war an einen anderen gegangen. Und nicht nur an irgendeinen anderen, sondern an die Schwester, die sie ihr Leben lang gehasst hatte.
Zwar kannte Gregory Rachel nicht sehr gut, aber er erinnerte sich lebhaft an sie. Als schüchterne, recht ansehnliche Fünfzehnjährige war sie bei der Hochzeit von Annie und Luke Brautjungfer gewesen, und er hatte als der beste Freund den Bräutigam zum Altar begleitet. Während der gesamten Hochzeitszeremonie hatte das Mädchen ihn, Gregory, bewundernd angesehen. Beim anschließenden Empfang hatten er und Luke sich über die unübersehbare Schwärmerei amüsiert, ohne zu ahnen, dass Rachel gleich hinter ihnen stand. Mit hochrotem Kopf war sie davongerannt. Gregory, der sich elend gefühlt hatte, war sofort hinter ihr hergeeilt, um sie zu bitten, seine Entschuldigung anzunehmen. Doch Rachel war immer weiter fortgelaufen.
Er hatte sie danach nie wieder gesehen, aber irgendwo hatte er gelesen, dass sie Winzerin geworden und mit Preston Farley verlobt war, einem pedantischen, mäßig erfolgreichen Anwalt aus San Francisco.
„Ich nehme an, du hast damit nicht gerechnet“, antwortete er auf Annies
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