Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
Gregorys Vater einen Fall übernommen hatte, war der Zuschauerraum überfüllt, und es waren nur noch Stehplätze frei. Gregory schlich sich leise in den Saal und stellte sich an der Wand neben einen jungen Mann, der Notizen machte und wahrscheinlich ein Jurastudent war.
Milton saß am Tisch der Verteidigung, ein Mann mit breiten Schultern und schütterem grauem Haar, das noch immer einen rötlichen Schimmer hatte. Zu seiner Rechten saß seine Assistentin Stella Doan, eine viel versprechende junge Frau, zu seiner Linken Freddy Bloom, der Angeklagte. Freddy, der in den letzten zwei Jahren als „der Schlitzer“ bekannt geworden war, hatte zwei Frauen erstochen, während er mit ihnen schlief. Eine dritte hatte mit schweren Verletzungen davonkommen können. Seine ersten Worte, als er schließlich gefasst wurde, lauteten: „Ich will Milton Shaw.“
Es war weithin bekannt, dass Milton Shaw von Pflichtverteidigungen nicht so begeistert war. Er übernahm seinen Anteil, wenn auch mit Widerwillen, und machte keinen Hehl daraus, dass er des Geldes wegen Anwalt geworden war. Und der Beruf brachte ihm einiges ein. Als drittes Kind einer armen Familie hatte er seinen Weg bis an die Spitze seines Berufsstands gemacht, um einer der gefragtesten Strafverteidiger im Land zu werden.
Gregory hatte schnell gelernt, dass Milton in fast allem erstklassig war, einschließlich Golf und Tennis, Kartenspielen, Reiten und sogar als Pilot von einmotorigen Flugzeugen, ein Hobby, dem er sich erst seit gut einem Jahr widmete.
Nur in einem Punkt war er kläglich gescheitert: als Vater.
Soweit Gregory zurückdenken konnte, zeichnete sich sein Vater durch Abwesenheit aus. Sein Ruf als Spitzenanwalt eilte ihm voraus und sorgte dafür, dass er überall im Land gefragt war. Seinen Sohn überließ er den Kindermädchen. Wenn sein Vater dann doch einmal zu Hause war, hatte er meistens zu viel Arbeit, als dass er sich um seinen Sohn hätte kümmern können. Die Wochenenden verbrachte Gregory bei seiner Tante Willie in Sacramento.
Gregory hatte lange Zeit benötigt, um dahinterzukommen, warum die Beziehung zu seinem Vater sich so sehr von den Vater-Sohn-Beziehungen seiner Freunde unterschied. Seine Mutter, die von ihrem Mann angebetet wurde, war im Alter von neunundzwanzig Jahren bei seiner Geburt gestorben. Und Milton hatte Gregory die Schuld an ihrem Tod gegeben.
„Ohne ihn“, hatte er Milton einmal zu Willie sagen gehört, „würde Marjory noch leben.“
Obwohl er zu der Zeit erst neun Jahre alt war, hatten diese Worte auf Gregory eine verheerende Wirkung. Jahrelang sah er in seinem Spiegelbild nur den Jungen, der seine Mutter getötet hatte. Kein Wunder, dass sein Vater ihn hasste. Manchmal hasste er sich selbst.
Mit den Jahren wurde der Riss zwischen den beiden Männern noch breiter, die gegenseitige Abneigung verstärkte sich. Sein Stipendium für die Yale University hätte das vielleicht ändern können, doch Gregory machte diese Hoffnung zunichte, als er beschloss, auf die U.C.L.A. zu gehen, weil es dort ein besseres Football-Team gab. Als Wiedergutmachung an seinem alten Herrn nahm Gregory Jura als Hauptfach, obwohl er nicht mit Leib und Seele dabei war.
Die Beziehung erlitt einen weiteren massiven Schlag, als die San Francisco 49ers Gregory in dessen letztem Jahr an der U.C.L.A. einen Vertrag anboten, um für sie in der kommenden Season als Zweiter Quarterback zu spielen. Sein Vater tobte eine ganze Woche lang, aber Gregorys Entschluss stand fest. Profi-Football war angesagt, Jura war gestorben.
Profi-Football sollte es dann aber doch nicht sein. Bei seinem letzten Spiel für die U.C.L.A. brach sich Gregory das rechte Knie und musste sich zwei Mal operieren lassen. Dann kam die wirklich schlechte Nachricht: Er würde nie wieder Football spielen können.
Kurz nach dem Abschluss zog er aus dem Haus seines Vaters in Pacific Heights aus und suchte sich ein Einzimmerapartment in North Beach. Voller Wut auf die ganze Welt, ohne Zukunftsplan, ohne Ziel und mit einer Leck-mich-Einstellung begann Gregory, durch die Bars zu ziehen. Jede Nacht betrank er sich bis zur Besinnungslosigkeit, bis irgendein guter Samariter ihm endlich ein Taxi bestellte, das ihn nach Hause brachte.
In dieser Verfassung stieß Dylon Cross auf ihn, ein alter Freund von der High School. Gregory tat Dylon Leid, also bot er ihm einen Job in seiner Detektei an, wobei Gregory lernte, wie man vermisste Personen aufspürt und Ehemänner auf Abwegen verfolgt.
Der Job war
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