Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
ihm habe ich schon gesprochen. Sonst noch jemand?“
„Sie hatte sonst keinen. Die Kleine war eine Einzelgängerin und auch etwas hochnäsig, wenn Sie mich fragen. Ich meine, wenn man bedenkt, dass sie nur eine winzige Stufe über einer Nutte stand, wenn Sie wissen, was ich meine.“
Gregory fragte sich, ob der Excop jemals versucht hatte, bei Alyssa zu landen, und sich eine Abfuhr eingehandelt hatte. Das würde seine abfälligen Bemerkungen über die Frau erklären. „Auch keine Eltern? Keine Geschwister?“
„Nichts. Glauben Sie mir, wir haben uns überall umgesehen, weil wir wussten, dass sie Hilfe hätte haben müssen, um dieser dreitägigen Suche zu entkommen. Wir haben überall Suchmeldungen aufgegeben und an der ganzen Küste entlang Plakate mit ihrem hübschen Gesicht an die Wände geklebt. Jede verdammte Zeitung im Staat brachte die Story, Tag für Tag, wochenlang. Sie wurde nie gefunden.“
„Aber Sal Dassante glaubte nicht an ihren Tod.“
Mertz‘ Augen wurden schmäler. „Woher wissen Sie das?“
„Ich habe etwas über eine Belohnung gelesen, die er ausgesetzt hatte.“
„Ach, das meinen Sie.“ Er nickte. „Ja, es gab eine Belohnung. Fünfzig Riesen. Ist aber nie was bei rausgekommen.“
Gregory lehnte sich nach vorn und zwang sich, seiner Stimme den Anschein von Respekt zu verleihen. „Was ist mit Ihnen, Chief? Glauben Sie wirklich, dass sie tot ist?“
Die Brust des Exdetective schwoll an, als freue er sich darüber, nach seiner Meinung gefragt zu werden. „Anfangs habe ich das nicht geglaubt. Aber nachdem wir die gesamte Küste durchkämmt hatten und sie nicht finden konnten, wusste ich, dass es sie erwischt hatte. Die Puppe war zwar hübsch, aber viel zu dumm, um ihre Spuren so zu verwischen, wie das nötig gewesen wäre. Außerdem fanden wir im Wagen ihre Handtasche. Mit achttausend Dollar.“ Er schüttelte den Kopf. „Niemand würde so viel Geld zurücklassen.“
Es sei denn, überlegte Gregory, sie war gar nicht so dumm und wollte alle Indizien für ihren Tod sprechen lassen. „Besteht eine Möglichkeit, dass ich eine Kopie der Polizeiakte bekommen könnte?“ Während Gregory sprach, zog er mehrere Fünfzigdollarscheine aus der Tasche und zog einen aus dem Bündel heraus.
„Tja, also ...“ Mertz’ gieriger Blick wanderte von dem Schein, den Gregory auf den kleinen rostigen Tisch zwischen ihnen gelegt hatte, zurück zu dem Bündel, das er immer noch in der Hand hielt. „Ich bin nicht sicher. Ich meine, das ist schon lange her. Akten verschwinden manchmal, wenn Sie wissen, was ich meine.“
Gregory nahm einen weiteren Fünfziger und legte ihn ebenfalls auf den Tisch.
Diesmal begannen Mertz’ Knopfaugen zu leuchten. „Ich muss mal eben telefonieren.“
Der Dienst habende Beamte, ein Neuling, benötigte einige Zeit, ehe er die einunddreißig Jahre alte Akte über Alyssa Dassante fand. Freundlich und zuvorkommend wischte er den Staub von der Akte, kopierte den Inhalt und gab Gregory die Kopien.
„Hier, Sir.“
„Danke, Officer.“
Auf dem Parkplatz las Gregory die Akte, während er sich gegen seinen Jaguar lehnte. Abgesehen von den genauen Zeiten und Orten sowie einem umfassenden Bericht der Taucher fand er nichts, was er nicht schon von Tante Willie und Harold Mertz gehört hatte.
Auf dem Weg zurück nach San Francisco dachte er über Alyssa Dassante nach. Was sollte die Frau, die scheinbar alles hatte, dazu gebracht haben, ihren Ehemann zu töten? Und wohin hatte sie sich begeben, als ihr Wagen ins Meer gestürzt war? Bodega Bay lag nördlich von San Francisco, wo Jonsey Malone lebte. Hatte der alte Kerl die Polizei und auch ihn angelogen? Oder hatte Alyssa anderswo unterkommen können?
Gregory ging diese Fragen durch, als ihm etwas ganz anderes in den Sinn kam. Warum sollte eine Frau vom Stande einer Helen Spaulding mit einer Stripperin befreundet sein?
Gregory war sich nicht im Klaren, warum er auf dem Weg von Winters einen Umweg zum Gerichtsgebäude von San Francisco machte, und noch weniger wusste er, warum er dann auch noch hineinging. Das hatte er zuletzt in seiner Collegezeit gemacht, als er sich auf eine Anwaltskarriere wie sein Vater vorbereitete.
Das aktuelle Verfahren hatte drei Monate lang die Aufmerksamkeit des gesamten Landes auf sich gezogen und war nun im Begriff, sein Ende zu erreichen. Die Presse hatte ein hochkarätiges Drama im Gerichtssaal vorhergesagt, sobald der Verteidiger Milton Shaw sein Plädoyer halten würde.
Wie stets, wenn
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