Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
todlangweilig und weder finanziell noch in anderer Hinsicht einträglich. Doch Gregory hatte ihn aus zwei Gründen angenommen. Zum einen brauchte er Arbeit, und zum anderen war sein Vater darüber so sauer wie noch nie zuvor.
Schließlich erkannte er, dass er in seinem Leben mehr brauchte, als durch dunkle Seitenstraßen zu schleichen. Im Herbst ‘85 ging er zurück zur Schule, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren, ein Fach, das ihn faszinierte. Die Hoffnung seines Vaters, er könne sich doch noch für Jura entscheiden, erfüllte er nicht. Kurz nach seinem Abschluss begegnete er Lindsay, die im Fach Werbung ihren Abschluss gemacht hatte. Als Weihnachten kam, waren sie verheiratet, und neun Monate später wurde er stolzer Vater eines Mädchens. Als Noelle sechs Jahre alt wurde, gab es zwei große Veränderungen. Gregory hatte die Scheidung eingereicht, und er hatte seinen Job als Investmentberater eingetauscht gegen eine Führungsposition in einem ,Fortune 500‘-Unternehmen, also einem der 500 erfolgreichsten Betriebe in den Staaten. Er stand kurz vor der Beförderung, als ihm klar wurde, dass in seinem Leben ein wenig Aufregung und Abenteuer fehlten.
1995 eröffnete er seine eigene Agentur und kombinierte so sein Wissen über die Finanzwelt mit der Arbeit als Ermittler. Anstatt aber für anstehende Scheidungen Beweise zu sammeln oder nach Vermissten zu suchen, begab er sich in ein neues und rasch wachsendes Gebiet – die Bewertung von Unternehmen und die Untersuchung der Vorgeschichte potenzieller Manager.
Er hatte diesen Entschluss nie bereut. Nach einigen schweren Jahren rangierte Shaw and Associates in der ,Top 5‘ derartiger Agenturen im Land.
Seine Tante Willie hatte so wie Gregory gehofft, dass dieser Erfolg Milton endlich zur Besinnung bringen würde, doch das war nicht der Fall. Jedes Mal, wenn Willie versuchte, die beiden Männer zu irgendeiner Art von Kompromiss zu bewegen, begannen sie sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, die erst dann ein Ende nahmen, wenn einer von ihnen aus dem Haus stürmte. Für gewöhnlich war das Gregory.
Der war seinem Vater seit nunmehr über sechs Jahren nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenübergetreten. Sein Kontakt mit dem berühmten Anwalt bestand darin, Noelle am Sonntagmittag zum Haus in Pacific Heights zu fahren und sie einige Stunden später wieder abzuholen. Noelle hatte Glück, dass Milton als Großvater wesentlich besser war denn als Vater, was auch der Grund dafür war, dass sie ihn vergötterte.
Das Geräusch eines Stuhls, der über den Boden gezogen wurde, riss Gregory aus seinen Gedanken. Er richtete seinen Blick auf den Tisch der Verteidigung und sah, wie sein Vater aufstand und sich den Geschworenen zuwandte.
Milton ließ eine Hand auf Freddys Schulter ruhen, während er begann, die traurige und einsame Kindheit des Jungen zu schildern. „Stellen Sie sich vor, er wäre Ihr Sohn“, sagte er und sah nacheinander jeden der Geschworenen an. „Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich von ihm abgewandt, Sie hätten ihn Abend für Abend brutal geschlagen, Sie hätten ihn mit der Gewalt auf den Straßen, mit Drogen und mit Betrunkenen konfrontiert. Wären Sie dann nicht auch ein wenig dafür verantwortlich, was aus ihm geworden ist? Würden Sie in Ihrem tiefsten Inneren nicht auch denken, dass diese verlorene Seele vielleicht doch gerettet werden könnte? Wenn Sie ihr nur die Chance geben würden?“
Bei diesen Worten verzog Gregory seinen Mund zu einem zynischen Lächeln. Warum war sein Vater nur immer so mitfühlend, so nachsichtig, wenn es um eine Ratte wie Freddy ging? Warum hatte er nie seinem eigenen Sohn eine helfende Hand entgegengestreckt?
Gregory hörte sich das komplette Plädoyer an, das wie üblich brillant war und jeden Geschworenen in seinen Bann schlug. Während Milton an seinen Platz zurückkehrte, verließ Gregory den Gerichtssaal so unauffällig, wie er hereingekommen war.
7. KAPITEL
„Warum solltest du dich schuldig fühlen?“ fragte Preston. „Du hast genauso ein Anrecht auf das Weingut wie Annie.“
Rachels Verlobter war Augenblicke zuvor eingetroffen und hatte sie mit Take-away-Essen aus ihrem bevorzugten Chinarestaurant und einem Strauß Gänseblümchen überrascht.
Er war ein großer, entsetzlich attraktiver Mann, auch wenn sie sich manchmal ein wenig sonderbar vorkam, dass sie sein Aussehen mehr bewunderte als seinen Intellekt. Aber sie konnte nicht anders. Seine blonden Haare, die immer perfekt frisiert waren,
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