Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
heißt, so wie du ausgesehen hast, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe.“ Er sah wieder auf das Foto. „Wer ist das?“
„Ich weiß es nicht.“
Hubert hatte bereits begonnen, den kurzen Artikel rechts vom Bild zu lesen. „Hier steht, dass sie Rachel Spaulding heißt. Sie ist eine amerikanische Winzerin, die als Erste ihre Weine über Supermarchés Fronsac verkauft. Darum ist sie in Paris Match.“
Ginnie fühlte, dass sie zitterte. „Wo ... wo lebt sie?“ fragte sie, dann presste sie ihre Hände vor den Mund.
Er überflog den Text. „In Napa Valley.“
Napa Valley. Ginnies Herz begann zu rasen.
„Chérie , was ist los mit dir? Du zitterst ja!“ Hubert legte die Zeitschrift zurück auf den Tisch und hielt Ginnie fest. „Warum regst du dich so über dieses Foto auf?“
„Weißt du das nicht?“
Er wollte wieder den Kopf schütteln, doch dann sah er noch einmal auf das Foto und dann zu Ginnie. „Mon Dieu, du glaubst doch nicht etwa ...“
„Sieh sie dir an, Hubert“, sagte sie und war überrascht, dass sie überhaupt einen Ton herausbringen konnte. „Ihre Augenfarbe, die Form ihres Mundes, ihres Kiefers. Und das Muttermal auf der Oberlippe.“ Sie berührte die Stelle, an der sich früher einmal ihr Muttermal befunden hatte, bevor sie sich entschlossen hatte, es entfernen zu lassen.
„Das könnte aber ein Zufall sein“, meinte er. „Du weißt doch, dass jeder Mensch irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger haben soll.“
„Sie ist meine Doppelgängerin“, flüsterte sie.
Huberts Augen sahen sie forschend an. „Oh, Ginnie, ich glaube nicht ...“
Ihre Stimme wurde mit einem Mal schneidend. „Findest du es nicht ein wenig seltsam, dass eine junge Frau, die mir so ähnlich sieht, ausgerechnet in Napa Valley lebt? Nur ein paar Kilometer von dem Kloster in Santa Rosa entfernt, in dem ich damals meine Tochter zurückgelassen habe?“
„Denkst du wirklich, diese junge Frau könnte ... Lillie sein?“
„Wäre das wirklich so unvorstellbar?“ Ihr Blick wanderte zurück zu dem Foto. „Zudem diese Frau in etwa so alt ist, wie Lillie heute wäre?“
„Aber Lillie kam bei einem Feuer ums Leben. Das hast du mir selbst gesagt.“
Ginnie konnte sich nicht von dem Foto losreißen, nahm die Zeitschrift noch einmal an sich und betrachtete das Gesicht eindringlich. Ein Gefühl erfüllte sie, das sie nicht richtig zuordnen konnte. Verlangen, Hoffnung, Furcht. „Das hat man mir so gesagt. Aber stell dir vor, sie wäre nicht gestorben, Hubert. Was, wenn irgendetwas geschehen wäre?“
„Beispielsweise was?“
„Ich weiß es nicht!“ Sie stand plötzlich auf, während sie das Magazin gegen ihre Brust drückte. „Eine Verwechslung, ein Versehen, irgendwas.“
Hubert ließ ein paar Sekunden verstreichen, dann sagte er ruhig: „Warum rufst du nicht im Kloster an? Dann wirst du es bestimmt erfahren.“
Von einer plötzlichen Hoffnung erfüllt, sah Ginnie auf das Telefon, als sei es eine Rettungsleine. „Meinst du, das kann ich machen, Hubert? Glaubst du, dass Schwester Mary-Catherine noch immer dort ist? Nach all den Jahren?“
„Es gibt nur einen Weg, um das herauszufinden.“
„Ja, ja, ich weiß. Du hast Recht.“ Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie die Nummer der Auslandsauskunft zwei Mal wählen musste, weil sie die Ziffern nicht richtig tippen konnte. Minuten später hatte sie die Nummer des Klosters in Santa Rosa notiert. Ginnie sah auf ihre Uhr. Drei Uhr am Nachmittag. Damit wäre es an der Westküste jetzt sechs Uhr morgens. Die Schwestern würden wach sein. Nach einem ermutigenden Kopfnicken von Hubert sprach sie ein stummes Stoßgebet und begann zu wählen.
Angenommen wurde der Anruf von einer Schwester Carmela. Als Ginnie fragte, ob Schwester Mary-Catherine noch im Kloster lebe, bejahte die Nonne. Ginnie war so erleichtert, dass ihr fast die Tränen kamen. „Könnte ich sie bitte sprechen?“ fragte sie, während sie bemüht war, ihre Stimme ausgewogen klingen zu lassen.
„Natürlich. Darf ich fragen, wen ich ihr melden soll?“
„Eine alte Freundin“, erwiderte sie und hoffte, dass das genügte. „Sagen Sie ihr bitte, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann.“
Möglicherweise waren die Nonnen an sonderliche Bitten gewöhnt, jedenfalls fragte Schwester Carmela nicht weiter nach, sondern sagte: „Einen Augenblick, bitte.“
Nervenaufreibende Minuten verstrichen, ehe eine ältere Stimme am anderen Ende der Leitung zu hören war, eine Stimme, die Ginnie sofort
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