Macht (German Edition)
der Mohammed die einstmals miteinander kämpfenden Stämme Arabiens einte. Die Herrschaft nackter Gewalt in den internationalen Beziehungen nach dem großen Kriege hätte in der Durchsetzung des Kommunismus in ganz Europa enden können, hätte Russland nur einen ausführbaren Überschuss an Nahrungsmitteln gehabt.
Wo die Gewalt, nicht nur im internationalen Maßstab, sondern in der inneren Regierung einzelner Staaten, nackt ist, sind die Methoden der Machtaneignung viel skrupelloser als sonst wo. Dieses Thema ist ein für allemal von Machiavelli behandelt worden. Nehmen wir zum Beispiel seinen tobenden Bericht über die Maßnahmen, die Cesare Borgia ergriff, um sich im Falle des Todes Alexanders VI. zu schützen:
»Er entschloss sich, auf viererlei Weise zu handeln. Erstens, indem er die Familien der von ihm beraubten Herren ausrottete, um dem Papst diesen Vorwand zu nehmen. Zweitens, indem er alle Vornehmen von Rom für sich gewänne, um den Papst mit ihrer Hilfe zu beugen. Drittens, indem er das Collegium mehr auf seine Seite brächte. Viertens, indem er vor dem Tode des Papstes so viel Macht erwerbe, dass er durch eigene Vorkehrungen dem ersten Stoß widerstehen könnte. Von diesen vier Dingen hatte er bei Alexanders Tod drei durchgeführt. Denn er hatte so viele von den enteigneten Herren getötet, als er in seine Gewalt zu bringen vermocht hatte, und wenige waren entkommen ...«
Die zweite, dritte und vierte dieser Methoden könnten jederzeit angewendet werden, nur die erste würde die öffentliche Meinung in einer Zeit ordnungsgemäßer Regierung stören. Ein britischer Ministerpräsident könnte nicht hoffen, seine Stellung durch die Ermordung des Führers der Opposition zu stärken. Wo aber die Gewalt nackt ist, werden solche moralischen Einschränkungen unwirksam.
Gewalt ist nackt, wenn ihre Untertanen sie nur achten, weil sie Macht ist, und sonst aus keinem anderen Grund. So wird eine traditionelle Machtform nackt, wenn ihre Tradition nicht mehr für gültig angenommen wird. Daraus folgt, dass Perioden freien Denkens und kraftvollen Kritizismus dazu neigen, in Perioden nackter Gewalt umzuschlagen. So war es in Griechenland und ebenso im Italien der Renaissance. Die der nackten Gewalt entsprechende Theorie ist von Plato im ersten Buch des »Staates« durch den Mund des Thrasymachus aufgestellt worden. Dieser wird der Versuche des Sokrates, eine ethische Erklärung der Gerechtigkeit zu finden, müde. »Mein Grundsatz ist«, sagt Thrasymachus, »dass Gerechtigkeit einfach das Interesse des Stärkeren ist.« Er fährt fort:
»Jede Regierung hat die Gesetze, die ihren eigenen Interessen entsprechen; eine Demokratie erlässt demokratische Gesetze; ein Autokrat despotische Gesetze und so weiter. Auf diese Weise drücken die Regierungen die Meinung aus, dass, was ihren eigenen Interessen entspricht, für ihre Untertanen gerecht ist; und wer immer von diesem Grundsatz abweicht, wird für gesetzlos und ungerecht erklärt. Daher glaube ich, mein guter Herr, dass in allen Staaten das gleiche, nämlich das Interesse der an der Macht befindlichen Regierung, gerecht ist. Und überlegene Kraft kann man, denke ich, auf der Seite der Regierung finden. Daraus ergibt sich die richtige Schlussfolgerung, dass überall dasselbe, das Interesse des Stärkeren nämlich, als gerecht gilt.«
Wenn dieser Standpunkt allgemein angenommen wird, sind die Herrschenden nicht länger moralischen Bedenken unterworfen, denn was sie immer auch tun, um an der Macht zu bleiben, wird von niemandem als störend empfunden, außer von jenen, die unmittelbar darunter leiden. Rebellen werden ebenfalls nur durch die Furcht vor einem Fehlschlag in gewissen Grenzen gehalten. Wenn sie durch Anwendung skrupelloser Mittel die Nachfolge antreten können, brauchen sie nicht zu befürchten, dass diese Skrupellosigkeit sie unpopulär machen könnte.
Der Grundsatz des Thrasymachus macht, wo er allgemeine Geltung besitzt, die Existenz einer geordneten Gemeinschaft völlig von der unmittelbaren physischen Kraft, die der Regierung zur Verfügung steht, abhängig. Er macht auf diese Weise eine Militärtyrannei unvermeidlich. Andere Regierungsformen können nur solide sein, wenn eine verbreitete Ansicht vorhanden ist, die der bestehenden Machtverteilung Achtung verschafft. In dieser Hinsicht erfolgreiche Ansichten halten gewöhnlich intellektueller Kritik nicht stand. Macht ist zu verschiedenen Malen mit allgemeiner Zustimmung auf königliche Familien,
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