Macht (German Edition)
werden. Ob ein schmerzloser Tod oder die Heirat mit der Schwester der verstorbenen Ehefrau legalisiert werden soll, ist eine ethische Frage, aber der Goldstandard ist keine. Es gibt zwei Definitionen »ethischer« Fragen, von denen jede die Fälle erschöpft, auf die dieses Adjektiv angewandt wird. Eine Frage ist »ethisch«, a) wenn sie die alten Juden interessierte, b) wenn der Papst für sie offiziell zuständig ist. Offenbar ist dieser übliche Gebrauch des Wortes »ethisch« überhaupt nicht zu verteidigen.
Nichtsdestoweniger finde ich, wenn ich persönlich spreche, dass es eine Art von Verhalten gibt, gegen die ich Widerwillen verspüre, einen Widerwillen, der mir moralischer Natur zu sein scheint, aber nicht offensichtlich auf eine Abschätzung der Folgen gegründet ist. Ich werde von vielen Leuten darüber belehrt, dass die Erhaltung der Demokratie, die ich für wichtig halte, nur möglich sein wird, wenn man eine ungeheure Anzahl von Kindern Hungers sterben lässt und andere schreckliche Dinge anstellt. In diesem Punkt kann ich der Anwendung solcher Mittel nicht zustimmen. Ich sage mir, dass sie den Enderfolg nicht garantieren oder dass sie im anderen Falle so üble Nebenwirkungen haben werden, dass diese alles Gute aufwiegen, das die Demokratie tun kann. Ich weiß nicht, inwieweit dieses Argument aufrichtig ist: Ich glaube, ich müsste mich solchen Mitteln widersetzen, selbst wenn ich davon überzeugt wäre, dass sie und keine anderen den Enderfolg sicherten. Dagegen versichert mir die psychologische Vorstellungskraft, dass nichts, was ich für gut halte, mit solchen Mitteln herbeigeführt zu werden vermöchte. Alles in allem glaube ich, um philosophisch zu sprechen, dass alle Handlungen nach ihren Wirkungen beurteilt werden sollten; aber da das schwierig und ungewiss ist und Zeit erfordert, ist es in der Praxis wünschenswert, dass manche Handlungen verurteilt und andere gepriesen werden sollten, ohne dass man auf eine genauere Untersuchung der Folgen wartet. Ich möchte daher mit den Utilitariern sagen, dass die richtige Handlung in jedem gegebenen Augenblick die ist, welche möglicherweise von allen möglichen Handlungen das größte Übergewicht des Guten über das Böse ergibt; dass aber die Vollbringung solcher Handlungen durch das Bestehen eines Moralkodex gefördert werden sollte.
Wenn wir diesen Standpunkt anerkennen, reduziert sich die Ethik auf die Definition von »gut« und »böse« nicht als Mittel, sondern als Selbstzweck. Der Utilitarier sagt, dass das Gute Freude und das Böse Schmerz bedeute. Wenn aber jemand nicht seiner Ansicht ist, welche Argumente kann er vorbringen?
Betrachten wir verschiedene Ansichten über den Sinn des Lebens. Einer sagt »Das Gute ist Freude«, ein anderer: »Das Gute ist Freude für die Arier und Schmerz für die Juden«, wieder ein anderer: »Das Gute ist, Gott zu loben und ihn zu preisen immerdar.« Was behaupten diese drei Männer, und mit welchen Methoden können sie einander überzeugen? Sie können sich nicht wie Wissenschaftler auf Tatsachen berufen. Keine Tatsachen können in den Disput einbezogen werden. Die Unterschiede liegen auf dem Gebiet des Wunsches, nicht auf dem Gebiet von Feststellungen über Tatsachen. Ich behaupte nicht, dass, wenn ich sage »dies ist gut«, ich meine »dies wünsche ich«; es ist nur eine besondere Art von Wunsch, die mich dazu bringt, eine Sache gut zu nennen. Der Wunsch muss in gewissem Grade unpersönlich sein; er muss mit einer Art Welt zu tun haben, die mich befriedigen würde, nicht nur mit meinen persönlichen Umständen. Ein König könnte sagen: »Die Monarchie ist gut, und ich bin froh, ein Monarch zu sein.« Der erste Teil dieser Feststellung ist unzweifelhaft ethischer Natur, aber seine Freude, Monarch zu sein, wird nur dann ethisch, wenn eine Überlegung ihn überzeugt, dass niemand sonst einen so guten König abgeben würde.
Ich habe bei einer früheren Gelegenheit (in »Religion and Science«) vorgeschlagen, dass ein Werturteil nicht als Behauptung interpretiert werden sollte, sondern als Ausdruck eines Wunsches im Hinblick auf die Wünsche der Menschheit. Wenn ich sage: »Hass ist schlecht«, so sage ich in Wirklichkeit: »Wollte doch niemand Hass empfinden.« Ich stelle keine Behauptung auf; ich drücke nur einen bestimmten Wunsch aus. Der Hörer kann verstehen, dass ich diesen Wunsch empfinde, aber das ist die einzige Tatsache, die er verstehen kann, und das ist eine Tatsache der Psychologie. Es gibt
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