Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Gesellschaft zu leisten.
Schon als knabenhafter Unionsnachwuchs erkannte er die Kraft des Marketings. Ausgestattet mit dem Fischer-Weltalmanach, schrieb er alle identifizierbaren Parteien an und bat um Zusendung ihrer Wahlprogramme und Werbeplakate. Ein gewichtiger politischer Frühstart zum Unbill des Briefträgers, der unaufhörlich Paketrollen ins Beust’sche Haus zu tragen hatte. Und zum Entsetzen der Mutter, die das mitsamt der Decke mit Parteiwerbung tapezierte Zimmer ihres Jungen ebenso absonderlich fand wie dessen launige Politikerparodien. Damals simulierte er am liebsten Ulbricht und Honecker, heute hat er sein Repertoire um den ein oder anderen ehemaligen Kollegen erweitert.
Roland Koch gehört nicht dazu. Der ist sein Freund. Und erinnert sich gleichfalls an seine politische Früherziehung: »Ich habe so manches am Frühstückstisch erfahren, was andere später erst mühsam lernen mussten.« Heute glaubt der streitbare Ex-Politiker, die Unumstößlichkeit seines Vertrauens in die eigene Meinungsbildung gehe auf seinen profunden, frühkindlich wertgefestigten Kern zurück.
Die so konsequent gestellten Weichen hat Ole von Beust dann über vierzig Jahre nicht mehr verlassen. Mit sechzehn Jahren trat er in die Junge Union ein und begann den Gang durch die Instanzen, den er heute als »Aneinanderreihung von Zufällen« bezeichnet. Stets sei er gerade da gewesen, wenn irgendwo einer ausfiel, und dann hieß es: »Dann soll es doch der Ole machen.« Aber er hatte immer schon das richtige Gefühl dafür, wo er gerade sein musste. Als es der Partei nach jahrzehntelanger, zermürbender Oppositionszeit so richtig lausig ging und einer gesucht wurde, der leidensfähig genug war, den langen Marsch aus dem Desaster anzuführen, hat er seine Chance erkannt und den Zufall an die Hand genommen. Längst war der Defätismus in der zersplitterten Hamburger CDU so gewaltig, dass es hieß: »Jetzt kann es auch der Ole machen.« Aber diesmal war es ihm nicht genug, einfach da zu sein. Er wollte die Menschen begeistern und aus Überzeugung zum Fraktionsvorsitzenden gewählt werden. Dafür feilte er mit zwei Freunden über Wochen an seiner Rede und bereitete den Auftritt bis ins letzte Detail vor. Die Beispiele gelungenen Marketings und gewinnender Rhetorik, die sein Aufwachsen begleiteten, hatte er dabei sicher vor Augen.
Sven Hannawald hat sein herausragendes Talent entdeckt, als er die ersten Kinderwettkämpfe gewann, und sich daran gefreut, dass er weiter springen konnte als andere, symbiotischer war mit seinem Ski als seine Kumpels. Er hat es gemocht, Jugendmeister zu werden, von Sieg zu Sieg zu springen und spürte zugleich mit jeder Medaille den Druck, beim nächsten Mal wieder vorn sein zu müssen. Der Erfolg ist das Ergebnis seiner Besessenheit, seines Perfektionismus, nicht aber sein Antrieb.
Mit dem Erwachsenwerden veränderte sich für ihn das Verhältnis zwischen Talent und Arbeit, und der Vergleich mit seinen Springerkollegen kehrte sich um. Gewinnen hing nun in erster Linie von den körperlichen Voraussetzungen ab, und er sah seine Überlegenheit vor allem in dem, was er nicht am Körper hatte. Während seine Kontrahenten mit einem stabilen Niveau aus der Winterpause kamen, »musste ich Jahr für Jahr bei Null anfangen«. Das ist sein Bild. Bei einem Körperfettwert unter fünf Prozent hatte er die Leichtigkeit, sich von seinen Skiern durch die Luft tragen zu lassen, aber es fehlte ihm die Masse für den kraftvollen Abdruck. Sven Hannawald suchte die Lösung dieses Dilemmas, indem er »eben noch mal zwei Kilo abnahm«. Wenn er über die Berichterstattung zu seiner möglichen Magersucht spricht, wird er für einen Moment auf eine unerwartete Weise unwirsch. Er ist sich bewusst, dass Gewichtsreduktion in einem besorgniserregenden Maße das Thema dieser Zeit im Skispringen war. Ein abstruser Wettkampf, neben dem eigentlichen Wettbewerb. Er wollte auch darin der Beste sein.
Wenn er die Bilder von damals jetzt anschaut, erschrickt er bei seinem eigenen Anblick. Aber er sieht in den hartnäckigen Nachfragen auch eine Missachtung seiner Professionalität. Bei der Suche nach Perfektion war einfach »an dieser Stelle Luft nach oben«. Also hat er versucht, sie auszufüllen, hat sich mit Ernährung beschäftigt, viel gelesen und wenig gegessen. Er hielt es immer für ein vertretbares, ein unstrittiges Maß. Eine Art Opfergabe an den Sport, der sein Leben bestimmt hat. Disziplin ist nicht nur Last, sondern vor allem
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