Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
war. Der Rückzugsort, an dem alles bekannt, berechenbar und so vieles kontrollierbar gewesen ist, auch wenn die Sicherheit, die er darin fand, eine trügerische war.
Entsprechend verzweifelt ist seine Suche nach einem Ersatz in den Wochen und Monaten danach. Ein Springer, der der Schanze den Rücken kehrt, trifft eine finale Entscheidung. Es gibt keinen leisen Ausklang in dieser Sportart, keinen sanften Ausstieg, wie er vielen anderen Athleten möglich ist. Der Mut, den Moment der Bodenlosigkeit im Wettkampf um Weite maximal zu verlängern, wird zur Tollkühnheit, wenn die absolute Fitness und damit die totale Selbstbeherrschung fehlen.
Sven Hannawald sagt, heute würde er sich nicht mehr auf die Schanze trauen. Aber er bekommt wieder Gänsehaut, wenn er unten steht und seinen Nachfolgern zuschaut. Er kann sie gut haben inzwischen, die Reaktionen seines Körpers und auch die Leere schreckt ihn nicht mehr, seit er das Adrenalin wieder fühlt. Zunächst war er skeptisch, als sein Manager ihn von seiner Tauglichkeit für den Motorsport zu überzeugen versuchte. Er probte jahrelang, bis er sich bereit fühlte, sein erstes offizielles Rennen zu fahren. Zu einem Hintergrundgespräch mit Journalisten, in dem er seinen Einstieg in die GT 3 – Serie ankündigte, ging er mit einem flauen Gefühl, »wie bei einem Bewerbungsgespräch«. Die Resonanz war wohlwollend, so, wie er es gewohnt war, und er spürte, dass sich der Schleier nun endlich zu lüften begann. Er wird es als Wendepunkt in seiner Biographie festhalten und als den Moment, der ihm die Lebensfreude zurückgab.
Er lebt nun ein anderes Leben, eines fernab von Medaillendruck und zehrender Selbstdisziplin. Öffentliche Auftritte genießt er inzwischen, seit er sie sich aussuchen kann. Auch, weil er es mag, ab und an mit seiner schönen Freundin über rote Teppiche zu gehen.
Die Zweifel an sich selbst sind geblieben. Wenige Wochen nach unserem Gespräch wird er die Rennsport-Serie für den Rest der Saison unterbrechen: Er ist noch nicht einverstanden mit seinem Fahrverhalten bei Regen.
An der Spitze
»Es gab keinen Ort, an dem ich lieber hätte sein wollen.«
Thomas Hitzlsperger
In dem ersehnten Moment, als sich für Joschka Fischer nach jahrelangem Kampf um politischen Einfluss, nach mancherlei gelaufenen Kilometern und noch mehr ab- und zugenommenen Kilos seine Lebensrolle zeremoniell manifestierte, empfand er keinen Triumph. Die Bilder seiner Vereidigung als Außenminister offenbaren kein Hochgefühl. Der Druck der Verantwortung wirkte stärker als die Erfüllung seines Traumes.
Als Hera Lind nach Erscheinen ihres jüngsten Bestsellers die Rolltreppe in der kaufhausgroßen Buchhandlung betrat, fühlte sie sich für einen kurzen Moment erhaben. Beim Blick auf die vertrauten Buchtitel, die links und rechts in opulenten Stapelbauwerken ihren Weg nach oben flankierten, hielt sie inne und dachte an ihre Mutter. Und an den Satz, den sie sich so sehr von ihr zu hören wünschte: »Ich bin stolz auf dich«. Er blieb auch an diesem Tag ungesagt.
Für ihre Leserinnen war Hera Lind längst zum Superweib geworden. Sie hatte strahlend zeitgemäße Heldinnen geschaffen, Rollenmodelle für Millionen Frauen: selbstbewusst, kess, erfolgreich und unabhängig. Wie ihre Figuren, so wollte sie auch selbst sein. Und so war sie jetzt. Auf den Bestsellerlisten thronend, hofiert von Fernsehsendern und Filmproduzenten, zugleich Managerin einer blondfröhlichen Großfamilie.
Manchmal ist Erfolg eine Parallelwelt. Hera Lind ist das mittlere von drei Kindern streng katholischer Eltern, eines Arztes und einer Musikpädagogin. Mit einer besonderen Stimme beschenkt, sang sie jahrelang um Anerkennung, gewann Gesangwettbewerbe, reiste als Solistin und als Mitglied des Westdeutschen Rundfunk-Chors durch die Welt und machte sich als Konzertsängerin einen Namen. Doch das ersehnte Lob ihrer Eltern hörte sie nie. Der familieninterne Vorrat an Zuspruch und Förderung wurde an die beiden Brüder verteilt.
In der Überzeugung der eigenen Unzulänglichkeit wird die Karriere unwirklich, das Misstrauen zum treuen Begleiter. So entstand auch der Erfolg in Hera Linds Augen zwangsläufig aus einem Zufall. Mit dem Schreiben begann sie, als sie zum ersten Mal schwanger war, aus Langeweile, das erzählt sie ganz ohne Koketterie. Mit ihrer lebenszugewandten Frauenmagazin-Literatur schafft sie ein neues Genre und verkauft neben fünfzehn Millionen Büchern auch ein Lebensgefühl. Große Regisseure
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