Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
hat ihn von Anfang an befremdet: »Es gab in Deutschland zu diesem Zeitpunkt keine Aktientradition, viele Menschen haben sich zum ersten Mal für Wertpapiere interessiert.« Dass er zu dieser Überdrehtheit beigetragen, mit dem werbebotschaftsbeladenen Versprechen einer erheblichen Rendite das deutsche Spielerherz angeschubst hat, das ist ihm bewusst. Auch wenn er sich gewünscht hätte, dass ein bisschen maßvoller umgegangen worden wäre mit der Sehnsucht nach schnellem Reichtum.
Der Tag der Erstausgabe sei ein phantastisches Ereignis gewesen, schwärmt er: »Wir haben Deutschland umgebaut.« Zum Preis von 28,50 D-Mark wurde die T-Aktie in begrenzter Stückzahl zugeteilt, so groß war die Nachfrage. So mancher verdankt Ron Sommer heute sein Eigenheim oder eine komfortabel ausgestattete Zukunft. Auf über zweihundert D-Mark stieg der Kurs zwischenzeitlich, ehe der neue Markt zusammenbrach und mit ihm der Traum vieler Kleinaktionäre. Und der Heldenstatus des Managers. Im freien Fall schlug die T-Aktie bei acht Euro auf. In diesem Bereich dümpelt sie beständig. Ron Sommer weiß, dass er auch verantwortlich gemacht wird für verlorene Vermögen und dramatische Lebensgeschichten. Der Logik der Geschichte folgend, wird die verarmte Großmutter zum Symbol seines Abstiegs. Ob er sich auch verantwortlich fühlt? »Hätte ich eine Glaskugel gehabt, hätte ich anders entschieden«, verschiebt er die Unberechenbarkeit des damals vogelwilden Marktes in die Welt des Übersinnlichen.
Wenn sich Ron Sommer heute, mehr als ein Jahrzehnt danach, mühe- und lückenlos die Chronologie der Ereignisse abrufend, an diese spektakuläre Zeit erinnert, wird deutlich, wie sehr jemanden wie ihn, dessen Selbstverständnis es ist, auch das Unvorhersehbare vorherzusehen, der Kontrollverlust quälen muss: »Ich habe vieles nicht verstanden, was damals passiert ist, weder die Steigerung auf zweihundert Mark, noch den Fall auf acht Euro. Die enorme Dynamik rund um die T-Aktie war in beide Richtungen falsch.«
Dass es nicht der maximale Börsenstand ist, nicht die gelungene Privatisierung des Fernmeldedienstleisters, nicht der Aufbau eines modernen Telekommunikationsunternehmens, was man jetzt zuallererst mit ihm verbindet, das bestätigt er mit einer bedeutungsvollen Pause.
Karrieren werden immer vom Ende her bewertet. Eine abwägende Gesamtbetrachtung fällt aus, wenn das Ende als Scheitern im Bewusstsein verankert ist. Möglicherweise führt auch das dazu, dass es zunehmend Ausstiege und Rücktritte gibt, die ohne erkennbaren Anlass, ohne Druck von innen oder außen und meist ohne Gesichtsverlust frühzeitig vollzogen werden. Oftmals sogar in der Mitte der Schaffenszeit. Das Phänomen der Fluchtbewegung hat die Metapher des Sesselklebens ersetzt. Statt mangelnder Bereitschaft zur konsequenten Fehleranalyse werden fehlende Pflichttreue und Identifikation beklagt.
Ron Sommer hat sich verantwortlich gefühlt für sein Unternehmen und für den Aktienkurs. Er hätte die Aktie gern auf einem anderen Stand übergeben. Aber er hat die Telekom zum größten Kommunikationsunternehmen Europas gemacht. Darüber kann er sich freuen: »Auch wenn das nicht als Erfolgsstory gesehen wird.« Dass die wahrgenommene Bilanz seiner Vorstandszeit eine verengte Momentaufnahme des Niedergangs ist, erkennt er auch daran, dass nicht viele Personalberater angerufen haben, mit einem verlockenden Angebot. Schon gar nicht mit einem adäquaten. Er erzählt das mit einem selbstbewussten Impetus, denn er ist sich sicher, dass er noch wichtige Impulse hätte geben können für die Wirtschaft in diesem Land. Aber er weiß auch um die Hemmnisse in den Köpfen derjenigen, die über Besetzungen bestimmen: »Nach meinem Abgang fehlte vielen Aufsichtsräten der Mut, über das öffentliche Urteil hinweg zu entscheiden.«
Er ist nicht verprellt wegen der ausbleibenden Rufe aus der deutschen Wirtschaft, sondern hat sich seine Wirkungsnischen im Ausland geschaffen. Er managte in verschiedenen Funktionen ein mächtiges russisches Unternehmen und ist jetzt Aufsichtsratsvorsitzender der größten Telefongesellschaft dieses Landes. Zudem in gleicher Funktion bei einem indischen Großkonzern. Mobilität und Kommunikation entwickeln sich schnell und grenzenlos. Sein angeschlagenes Image ist lokal.
Die Ernsthaftigkeit, mit der Ron Sommer seine Telekom-Ära mit all den begleitenden Faktoren analysiert, die Verve, mit der er über Führung und Management fabuliert, und die Offenheit, mit
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