Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
das nun mal eine ziemlich große Party«, entgegnet er dem vertrauten Vorwurf des Größenwahns, »aber es gab keinen Kaviar.« Ein harter Kampf um Mitarbeiter habe bestanden, deshalb kamen am Abend auch schon mal Masseure in die Büros oder die Waschfrau, die sich um die Reinigung der Workaholic-Wäsche kümmerte. Auch Personal-Trainer für die Erfrischung von Körper und Geist. Das sei doch wirklich nicht obszön, bei achtzehn Stunden Arbeit am Tag. »Gehen Sie mal zu Google, dagegen war Kabel ein Witz.«
Dass die Old Economy selten gelacht, sondern vielmehr mit Neid auf die Emporkömmlinge reagiert hat, das habe er natürlich registriert: »Wir waren selbstbewusste Typen, wir wussten, dass unsere Themen Schlüsselthemen dieser Zeit waren.«
Er hätte diese Zeit genießen können, mit heutigem Wissen auch sollen. Die Auftragslage konsolidieren und weiterhin substantielle Produktlösungen ausklüngeln. Aber dieser abgedrehte Neue Markt und der wachsende Wettbewerb ließen keine Verschnaufpausen zu: »Der Erfolg musste jeden Tag neu errungen werden, genossen habe ich ihn eigentlich nie.«
Dabei sieht Peter Kabel wirklich aus wie ein Genießer, auch wenn er nur grünen Tee trinkt. Gepflegt, braungebrannt und mit gestärktem weißen Hemd. In diesen Tagen hat er wieder mal eine Party gefeiert, seinen fünfzigsten Geburtstag. Einige ehemalige Mitarbeiter waren eingeladen, fast alle sind gekommen. Es gab schon einen besonderen Geist damals. Das sei sein Motor gewesen, vor Menschen zu stehen, der lebendige Austausch, den eigenen Biss weitervermitteln. Heute spricht er sehr abwägend, überlegt lange und tastet sich immer wieder vor und zurück, auch wenn ihm dabei regelmäßig Sätze rausrutschen, die den Peter Kabel auf dem Gipfel des Erfolges zum Vorschein kommen lassen.
Der Börsengang sei schon gigantisch gewesen, auch wenn sie nicht so recht wussten, wie ihnen geschah. Die Kontrahenten aus dem Ausland buhlten mit »astronomischen Summen« um die gleichen Aufträge. »Das hat uns zur Expansion gezwungen. Ein unglaublicher Börsenwert von einer Milliarde bei hundert Millionen Umsatz«, das war Kabel New Media im Jahre 1997.
Er sei immer derselbe geblieben, in dieser Phase der unbegrenzten Möglichkeiten. »Schwäbisch und ein bisschen altbacken«, versucht er das Image des Bonvivants mit herausgestellter Bodenständigkeit zu widerlegen. Sein kleines Ferienhaus steht in Mecklenburg-Vorpommern und nicht an der Côte d’Azur und der MINI sei einfach bequemer als ein Sportwagen. Parkplätze sind auch für Börsenstars nicht größer. Die Segelyacht, die ihm immer angedichtet wurde, hat er nie besessen. Nicht mal ein Ruderboot, spottet er über ehemals bewundernde, hernach üble Nachrede.
Um ihn herum allerdings, da hatte sich alles verändert. Viele neue Leute suchten seine Nähe. Die sind längst alle wieder weg. Er blickt jetzt zurückhaltender auf Beziehungen. Dass keiner von den Jublern und Profiteuren gemahnt hat, als sein Unternehmen, vom eigenen Wachstum überfordert, mit Vollgas auf die Apokalypse zusteuerte, das wundert ihn auch heute nicht. Aber es habe überhaupt keine Instanz gegeben, die Leute wie ihn vor der abenteuerlichen Überhitzung der Börse und der überhöhten Expansionsgeschwindigkeit warnten: »Alle waren im Rausch.«
Peter Kabel will niemanden verantwortlich machen für sein Scheitern. Aber die Verachtung für den Kapitalmarkt, der ihn vor sich hergetrieben hat, mit seinen Erwartungen und all den Fallen, in die er aus Unerfahrenheit tappte, verzerrt noch heute sein Gesicht, wenn er ungelenk formuliert: »Im Nachhinein würde ich den Börsengang nicht mehr gemacht haben.«
Er sei die Katze gewesen in diesem Katz-und-Maus-Spiel. »Aber die Maus war viel versierter.« In der Rückschau auf den Absturz schwankt er zwischen der gewinnenden Offenbarung seiner Unbedarftheit und den scharfsinnigen Erklärungen der externen Effekte. Die Aktie sei nun mal das zentrale Element eines börsennotierten Unternehmens. Auch wenn er keinen Schwachsinn gemacht habe, »nur um den Playern zu gefallen«, ein höheres Risiko sei nun mal unumgänglich, wenn man immer den Atem des Kapitalmarktes im Nacken spürt. Verrückt gewordene Kleinaktionäre, die ihm den Garaus machten, habe er bis dahin nicht gekannt und schon gar nicht einschätzen können. Und Vertrauen hat der Markt zu einem so jungen Unternehmen auch keines gehabt. Vertrauen erarbeitet man sich. Dafür hat die Zeit nicht gereicht.
Wenn vorhersehbar
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