Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
der Wahl kündigten die Apokalypse bereits an, alle Versuche gegenzusteuern verbesserten nur die Position der zustimmungsgetragenen Gegnerin. Dem Amtsinhaber blieb nun nurmehr »die Hoffnung auf eine niedrige Wahlbeteiligung«. Niedrige Wahlbeteiligung, fehlende Anteilnahme an politischen Prozessen, eine Haltung, die der Demokrat Roland Koch stets bekämpft hatte. Seine Sätze sind so manifest, dass er den Widerspruch darin gar nicht bemerkt. Im Sinne des Machterhaltes muss die eigentliche Überzeugung schon mal hintanstehen.
Die selbstberuhigende Prognose des Politprofis, Andrea Ypsilanti sei »bestenfalls imstande, sozialdemokratische Frauen und Jusos, nicht aber den sechzigjährigen Gewerkschaftsfunktionär zur Stimmabgabe zu motivieren«, erwies sich als folgenreiche Fehleinschätzung. Das Ausmaß der Niederlage nahm mit jedem Tag konkretere Formen an, so dass im erschütternden Wahlergebnis keine Überraschung mehr lag.
Es waren schlimme Tage, in denen er glaubte, sein Amt an eine Nachfolgerin abgeben zu müssen, die er nie auf seinem Level gesehen hat. »Es ist leichter zu verlieren, wenn man jemanden inhaltlich ernst nimmt«, formuliert er im mildernden Umkehrschluss. Umso drastischer spricht er über sich selbst und die Sorge vor einem Abgang, der so ganz anders gewesen wäre als seine Vorstellung von einem würdigen Ende. »Ich habe in den Abgrund geblickt«. »Politisch gesehen«, fügt er rasch hinzu, um seine menschliche Schadlosigkeit zu versichern.
Dass es bei einem flüchtigen Blick in den Abgrund geblieben ist und ihm die Chance zum stilvollen Abschluss durch ein denkwürdiges Intrigenspiel der hessischen SPD und einer beispiellosen politischen Selbstverstümmelung des Gegners auf dem Silbertablett serviert wurde, veranlasst ihn noch immer zu einem konsternierten Kopfschütteln. Er erzählt diese Episode ohne Süffisanz, eher fassungslos auf eine Weise.
Er war sich sicher, dass Andrea Ypsilanti nun »durchziehen« würde. Also ihr Wahlversprechen ausblenden und mit Duldung der Linken eine rot-grüne Koalition schmieden würde, um ihn als Landeschef abzulösen. Bei seiner vermeintlich letzten Konferenz im Kreise der Ministerpräsidentenkollegen war es Ypsilantis Genosse Klaus Wowereit, der ihn, in Kenntnis der Untiefen seiner eigenen Partei, ermahnte, sich nicht zu früh zu verabschieden. Er sollte recht bekommen.
Den Namen Dagmar Metzger hatte Roland Koch bis zu dem Moment, als sie ihn zurück ins Spiel brachte, noch nie gehört. Die Nachricht, dass die SPD-Abgeordnete eine Zusammenarbeit mit den Linken kategorisch ablehnen und ihrer Parteifreundin die Gefolgschaft versagen würde, erreichte ihn bei einer Veranstaltung, die er im Ausklang seiner Amtszeit pflichtgemäß absolvierte.
Sein Pressesprecher ließ ihm die Information in den Termin reichen, er würde dringend im Büro gebraucht. Er glaubte an einen Anschlag und versicherte sich zunächst, dass sich das Land keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt sah, ehe er entschied, seine Aufgabe protokollgerecht zu Ende zu führen. Danach hat er sich erst mal den Lebenslauf von Dagmar Metzger besorgen lassen. Und begonnen, seine Umzugskisten wieder auszupacken. Die ohnehin dünne rot-grüne Mehrheit war nun so brüchig geworden, dass Andrea Ypsilanti alle Koalitionsverhandlungen und damit ihre Wahl zur Ministerpräsidentin zunächst absagen musste.
Roland Koch zögert nicht zuzugeben, dass er froh und erleichtert war, die Maschine noch mal anschmeißen zu können und »alles zugunsten meines Landes in Ordnung zu bringen«. Vor allem, wieder »Herr des Verfahrens« zu sein. Er führte die Geschäfte kommissarisch, neu entflammt in der Erwartung des totalen Fiaskos der SPD, die den politischen Verrat an ihrer Kandidatin dann ähnlich romantauglich choreographierte wie den Dolchstoß an Heide Simonis drei Jahre zuvor.
Ob er Mitgefühl empfunden hat mit seiner Rivalin, als er davon erfuhr, dass die rot-grüne Regierungsbildung nach der spektakulären Gewissensentdeckung dreier weiterer SPD-Abweichler endgültig gescheitert war? Er macht eine lange Pause und kann sich dann zu keiner Antwort durchringen. Das Zucken seiner Mundwinkel lässt mich glauben, dass er gerne ja sagen würde. Aber er entscheidet sich für einen anderen Weg des Großmutes: »In der richtigen Mannschaft und mit einer Portion Mut im entscheidenden Augenblick wäre Andrea Ypsilanti Ministerpräsidentin geworden.« Und präzisiert seine Aussage im Stile des strategischen
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