Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
beide einen grauenvollen Zusammenbruch erleben mussten. »Wenn ich gewusst hätte, dass danach alles in die Grütze geht, hätte ich vermutlich anders reagiert.« Wie, das sagt er nicht.
Er wäre vielleicht nicht mit seinem Lebensgefährten bei der vielbeachteten Eröffnung eines Modeladens aufgetaucht, wenige Tage nach seinem Rücktritt und am Tag der Regierungserklärung des neuen Bürgermeisters. Der erste öffentliche Auftritt eines hochglanztauglichen Paares zeitgleich mit der Formatsuche des glanzlosen Nachfolgers. Und die unhanseatische Zurschaustellung des Zugewinns an Lebensfreiheit.
Ob es seinem Senat geholfen hätte, die Regierungsperiode zu Ende zu bringen, vermag er nicht zu sagen. »Verschüttete Milch.« Eine weitere Amtszeit wäre sowieso ausgeschlossen gewesen: »Ich habe vier Wahlkämpfe geführt, das schlaucht, auf einen fünften hatte ich keine Lust mehr.«
Es ist ruhig geworden um Ole von Beust, in einer Reihe mit den Wahrzeichen zählt ihn niemand mehr auf. Vielleicht wird sich das ändern, wenn die Elbphilharmonie erst mal feierlich eröffnet ist, das Leuchtturmprojekt seiner Stadtentwicklung. Und die Hamburger die Querelen um Baukosten und verschobene Eröffnungszeiten aus Stolz längst vergessen haben. Oder wenn das Ansehen des Nachnachfolgers nach der Halbwertszeit des wohlwollenden Zuspruches erste Kratzer bekommt. Dass es so passieren wird, ist für Ole von Beust zwangsläufig: »Diese Zyklen sind systemimmanent.« Aber er tut sich leicht, den aktuellen Amtsinhaber für seine Arbeit und seine Amtsinterpretation zu loben. Auch wenn sie so ganz anders ist als seine.
Er beobachtet jetzt alles aus der Distanz, aufmerksam, aber ohne den Impuls, sich einzumischen. Und fühlt sich lebendiger. Er arbeitet inzwischen als Berater für Roland Berger, managt eine Lampenfirma, vertritt als Repräsentant verschiedene Institutionen. Und freut sich daran, Geld zu verdienen. Vor allem aber genießt er die zurückgewonnene Selbstbestimmung. Und das kinderleichte Abtauchen in die Anonymität. Auch in seiner Wohnung weist nur noch die Überwachungskamera an der Eingangstür darauf hin, dass hier der ehemals erste Bürger dieser Stadt wohnt.
Und was es sonst zu sagen gibt, das hat er seinen Hamburgern noch mal aufgeschrieben in seiner Biographie mit dem Titel »Mutproben«. Er hoffte, dass sie ihn danach besser verstehen würden. Er sei einfach so oft gefragt worden, zu seinem Rücktritt und der Sache mit Schill, da hat er sich zum zweiten Outing entschieden. Diesmal von ganz allein. Auch wenn er »dieses ganze Brimborium« eigentlich nicht braucht und er sich selbst nicht allzu wichtig nehmen mag. Überhaupt ist es eine seiner nachdrücklichsten Erkenntnisse, dass man im Gefühl der eigenen Bedeutung verlorenzugehen droht. Auch beim Lesen der Presse-Clippings, dieser trügerischen medialen Omnipräsenz: »Jeder Achtzeiler, der in der Zeitungsausgabe unter der Werbung verschwindet, bekommt in der komprimierten Darstellung ein ganz anderes Gewicht.«
Er hat sich nicht täuschen lassen von solchen Mogelpackungen glaubt er, »vermutlich weil ich ohnehin kein Typ für Ekstase bin, eher auf einem »3+Grundstimmungsniveau«.
Für diesen Abend gilt die Einordnung, weil ihn ein chronischer Husten plagt und er am nächsten Tag vor seiner Zeit raus muss. Ansonsten wirkt er wie eine glatte 2. Extrem gelassen, selbstkritisch offen und zugleich abgeklärt in der Analyse seiner eigenen Regierungszeit und des Politikgeschäfts im Allgemeinen. Er sinniert, extrahiert und fabuliert geduldig, bis alle Fragen beantwortet sind, obwohl er früher als Perfektionist des galanten Entfleuchens galt. Manchmal war das notwendig, weil noch die zweite und dritte Abendgesellschaft parallel auf ihn wartete. Manchmal hat er es sich aber auch einfach gegönnt. Neben den Verpflichtungen vergibt Status eben auch Freiheiten, zum Beispiel die über das Ende eines Termins zu entscheiden. Und wenn ein bestimmtes Zuneigungsniveau erst einmal erreicht ist, wird selbst eine Unhöflichkeit zur niedlichen Eigentümlichkeit verklärt.
Auch bei seinen geschäftlichen Terminen bleibt er bis zum Ende. Jetzt will er ja meistens etwas von seinem Gegenüber. Dass er an Sitzungen teilnimmt, die er nicht mehr leitet, daran muss er sich noch gewöhnen. Oft zuckt es in ihm, wenn er glaubt, alle Standpunkte seien längst ausgetauscht oder es fehlt an stringenter Gesprächsführung. Das hinzunehmen sieht er ebenso als Aufgabe an wie die Akzeptanz der
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