Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
gesamten Gesprächs unterstützt die Statuenhaftigkeit seiner Sätze. Dass er die steigende Jugendkriminalität zum Thema machte, nachdem in der Münchener U-Bahn von jugendlichen Tätern ein abscheuliches Gewaltverbrechen verübt worden war, hält er nach wie vor für unumgänglich. Auch wenn er dafür selbst von Parteifreunden öffentlich gerügt wurde, er degradiere Integrationspolitik zum Wahlkampfthema. Die Schlagzeile »Koch steckt Kinder in den Knast« ist für ihn eine unzulässige Verknappung seiner Botschaft, eine »journalistische Leichtfertigkeit«. Aber: »Wer in der Politik überleben will, muss den Pranger aushalten«, pointiert er lapidar das Ergebnis der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Verletzlichkeit.
Doch er räumt auch Schnitzer ein. »Es gibt zu viele kriminelle jugendliche Ausländer.« Dass er in einem Interview diesen Satz gesagt hat, der interpretierbar war und von der Opposition sofort entsprechend genutzt wurde, »hätte mir nicht passieren dürfen.« Dass er damit unfreiwillig Zündstoff geliefert hat, nicht die Haltung an sich bereut er heute. Er ist froh, dass er das Interview auch selbst gelesen – und nicht wie sonst üblich seinem Pressesprecher zur Korrektur überlassen hat. So teilen sie die Verantwortung für einen Satz, »den wir einfach hätten streichen sollen«. Und der vielleicht sein politisches Ende einleitete. Obwohl es in der isolierten Aussage womöglich einer seiner harmloseren Sätze war. Einer, der bei einem anderen mit empörtem Kopfschütteln durchgewinkt worden wäre. Da wird er zum Opfer der eigenen Ideologie. Der Resonanzboden war vorher geschaffen.
Ole von Beust ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Roland Koch. Als strahlende Symbolfigur einer selbstzufriedenen Metropole hat er sein Bürgermeisteramt wann immer möglich konsensual interpretiert. Getragen von der herzlichen Zustimmung seiner Bürger und der absoluten Mehrheit der Wählerstimmen, die dem Ersten Mann der Stadt weit mehr galten als seiner Partei, hatte seine neunjährige, unangefochtene Amtszeit monarchische Züge. Er brauchte keine polarisierenden Kampagnen, um fehlende Wählerstimmen zu erhandeln. Der Slogan »Alster, Michel, Ole« reichte aus, um seinen Status zu zementieren. In einer Reihe mit den prachtvollen Wahrzeichen seiner Stadt. Diese Rolle und die Sympathie der Hamburger hat er allzu sehr geschätzt, als dass er sich für halbherzige Überzeugungen aufgerieben hätte. Auch wenn ihm die fehlende Neigung zur klaren Position oder gar zur Zuspitzung von manchen als Oberflächlichkeit ausgelegt wurde.
Von Beust schätzt Roland Koch für dessen Konsequenz und die Bereitschaft, dafür einen hohen Preis zu zahlen. Dass der hessische Kollege seit seiner Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft den Stempel des rechten Hardliners trägt, hält er für ebenso unangemessen wie die eigene Etikettierung als syltgebräunter Lebemann. Politisch war das Image des Liberalen bei ihm so fest eingeprägt, dass selbst eine bisweilen ruppige »Law-and-Order-Politik« keine Furchen in das glatte Profil grub, sondern als bloße Parteiräson interpretiert wurde. »Wenn die Einordnung erst mal erfolgt ist, zahlt alles, was in diese Richtung geht, auf das gleiche Konto ein. Wenn man versucht auszubrechen, wird es als Charakterschwäche ausgelegt«, beklagt er resigniert die unaufziehbaren Schubladen.
Obwohl »der Stempel am Anfang unwiderruflich gesetzt wird«, hat er im Gegensatz zu Roland Koch hartnäckig versucht, gegen die Vorurteile anzugehen, die den übermächtigen CDU-Chef und Bundeskanzler Helmut Kohl vor vielen Jahren dazu brachten, ihn als Sunnyboy abzukanzeln und damit die Eignung als Bürgermeister der Hansestadt wegen fehlender hanseatischer Grundtugenden abzusprechen.
Gelungen ist ihm die Imagekorrektur nie, auch wenn er an Wahlkampfplakaten mitgearbeitet, Slogans entwickelt und die letzte Entscheidung über die Bildauswahl selbst getroffen hat. Getragene Schwarz-weiß-Motive sollten ihn seriöser, kantiger und ehrlicher wirken lassen. Doch er blieb immer der joviale Segler, obwohl er die Segelscheinprüfung vor dreißig Jahren wegen einer Flaute abbrechen musste. Und seither nie wieder einen neuen Anlauf genommen hat.
Er hat dennoch gut damit gelebt, als lebenszugewandter Bürgermeister eines lebenszugewandten Stadtstaates zu gelten, dessen Aufstieg er moderierte und repräsentierte. Wenn die Hamburger ihm dann und wann wegen allzu kurzer Stippvisiten im Kreise der
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