Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Großmeisters: »Sie hätte sich sofort nach Dagmar Metzgers Lossagung ins Fernsehen stellen und Neuwahlen ausrufen müssen. Dann hätte vielleicht ihre Fraktion vor Wut die Tische aufgefressen, aber die Sache wäre gelaufen gewesen.« So hätte er es gemacht. »Politische Führung beginnt im eigenen Haus.«
Die Neuwahlen gab es dann im Januar 2009. Ganz ohne extreme Positionen. Die brauchte es nun nicht mehr, nachdem der ramponierte Gegner von der Augenhöhe so weit entfernt war, wie Roland Koch vom Friedensnobelpreis. Seinen letzten Wahlsieg errang er mit einer frappierend niedrigen Wahlbeteiligung und noch weniger absoluten Stimmen als beim Desaster 2008. Aber mit einer regierungsfähigen Mehrheit. Doch vom Moment des Sieges an umspielte der Ausstiegsgedanke seine gewonnene Amtszeit.
Er sagt ganz offen, dass ihn die Ereignisse des Jahres 2008 dünnhäutig gemacht und seine Weichen neu gestellt haben: »Ob ich ohne diese Niederlage abgetreten wäre, weiß ich nicht.« Aber dass er begonnen hat, seine Unverwundbarkeit ebenso infrage zu stellen wie die eigene Unersetzlichkeit, das gibt er ohne Bedauern zu: »Wenn man Politik so macht wie ich, ist die Halbwertszeit in der heutigen Mediengesellschaft nicht so hoch.«
Das ist eine These, die sich in vielen Gesprächen wiederfindet und die eine der gravierenden Veränderungen dieser Zeit beschreibt. Der stetige öffentliche Fokus und die mediale Durchleuchtung führen zu einer zwangsläufigen Entmystifizierung der Mandats- und Verantwortungsträger und damit zur Verkürzung von Führungszyklen. Transparenz, das überstrapa- zierte Schlagwort des Zeitgeistes, mag zu verstärkter Kontrolle, tieferen Einblicken und auch zur Vermenschlichung der Entscheider führen, zur Objektivierung der Informationsvielfalt und zu einer angemessenen Beurteilung, zum Verständnis für den Menschen im Funktionsträger führt sie indes nicht. Vielmehr tragen die Skandalisierung von Banalitäten und die multimediale Multiplikation der Empörung zu sinnentleertem Reibungsverlust bei.
Roland Koch hat diese Abnutzungserscheinungen gespürt, aber auch »das Gift«, das sich schleichend ausbreitete. Das, was andere die »Droge Macht« nennen und die Mächtigen nach und nach, bis zum Abgang zumeist unentdeckt, von der Normalität entfernt. Er wollte auch aus Angst vor der Sucht rechtzeitig aufhören: »Man darf sich nicht in die eigene Bedeutung verlieben.« Uneitle Menschen gäbe es in der Politik nicht und man könne die Selbstberauschung nicht permanent vermeiden, analysiert er die Gefahren der schwindenden Reflexion. Sowohl der eigenen als auch der des Umfeldes: »Je länger man dabei ist, desto mehr Menschen haben ihnen ihre Karriere zu verdanken, dann lässt es mit der offenen Aussprache zwangsläufig nach.«
Seine Frau ist ihm immer eine verlässliche Beraterin gewesen und geblieben. Sie kümmert sich um seine Alltagsverankerung und Begegnungen mit der Lebenswirklichkeit unterhalb der Gestaltung von Zeitgeschichte. Und er hat seine Unabhängigkeit als treue Begleiterin, die dafür sorgt, »dass ich nie Angst hatte, nur politisch etwas gelten zu können«. Diese Perspektive schützte ihn vor fesselnder Fraternisierung und der mitreißenden Kraft wechselnder Strömungen. Er glaubt, fehlende Unabhängigkeit in der Amtsführung von Kollegen erkennen zu können. Und zählt eine Reihe von abschreckenden Beispielen auf. Solche, »deren Maske zur zweiten Haut geworden ist«, und andere, die »die Leere nie mit etwas Gleichwertigem füllen können«. Geschichten wie die von Heide Simonis, die die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit mit TV-Tänzen zu stillen suchte, erschrecken ihn spürbar, auch wenn er die distanzierende Reduziertheit seiner Sätze beibehält.
Er hat seinen Platz gefunden, eine andere Form der Gewichtigkeit, wenngleich er zugibt, sich in klassischen Machtkategorien nun weniger bedeutend zu fühlen. Aber auch freier. »Als Ministerpräsident müssen Sie bereit sein, auch am Samstagnachmittag mit glücklichem Gesicht in eine Bratwurst zu beißen«, veranschaulicht er die unvermeidlichen Wochenendvergnügen im politischen Tagesgeschäft. Und »dass Sie davor auch schon vier Veranstaltungen besucht haben und danach noch in zwei Zelten sprechen müssen, das sieht niemand«.
An den Wochenenden macht er jetzt oft frei, er kocht wieder häufiger, das ist sein Faible. Keine Bratwurst, echte Gerichte, »alles, was Sie sich wünschen.« Nicht nur für Fotomotive und wohlfeile
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