Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Zu der Zeit, als ihn Helmut Kohl kraft routinierter Selbstüberhöhung im Alleingang zu seinem Nachfolger auserkor, als er Anführer seiner Andenpakt-Gang war, deren Mitglieder nach und nach die bedeutenden Ämter des Landes besetzten, Seilschaften banden, um sich wechselseitig die Macht abzusichern und jungsbündlerisch Einfluss auszuweiten. Als sein krawalliger Ehrgeiz und sein pointiertes Querulantentum ihn zu einer Art Schattenkanzler machten und die bundespolitische Machteroberung nur noch eine Frage der Zeit schien. 2008, zum Zeitpunkt seiner Abwahl als Ministerpräsident, da war er längst ruhiger geworden, gebremst von der unvermuteten Widerstandsfähigkeit und der strategischen Intelligenz der Kanzlerin, der eigenen Wirkung und, im Jahre 2003, von einer Notoperation am Herzen. Da hatte auch er eine Schwachstelle.
Zum Zeitpunkt der Niederlage bei seiner designierten zweiten Wiederwahl hatte Roland Koch schon viele politische Schlachten geschlagen. Geschult in den Jahrzehnten seines parteiinternen Aufstieges beherrschte er die Klaviatur machtstrategischer Spielzüge perfekt. Komfortabel mit einer absoluten Regierungsmehrheit ausgestattet, dem verdrossenen Wahlvolk trotzend, wollte er sich erneut in seiner Landesführung bestätigen lassen. Doch dieser Wahlkampf war ein anderer. Eine wichtige Orientierungsgröße kampferprobter Haudegen ist ein Gegner auf Augenhöhe. Ein Kontrahent, dessen Stärken ebenso berechenbar sind wie die Angriffsflächen. Einer wie Roland Koch braucht das direkte Duell, den Säbel. Das Florett hat er selten gewählt. So konnte er keinen rechten Umgang finden mit der Spitzenkandidatin der SPD, Andrea Ypsilanti, die so anders daherkam als all diejenigen, die Roland Koch mit der Wahl der gleichen Waffen auf den Leim gingen. Er nennt es »das Phänomen Ypsilanti« und den »Sarah-Palin-Effekt« und meint damit eine Politikerin, die die Herzen der Menschen auf eine Weise erreichte, wie er es sich insgeheim gewünscht hätte.
Es sei delikat, überhaupt darüber zu reden, denn er mag nicht den Eindruck erwecken nachzukarten, das ist schlechter Stil. Dass er keine Strategie fand, mit ihrer gefühligen Politik und vor allem dem hohen Grad an persönlicher Aggressivität, das er in ihrem Gefecht mit ihm zu erkennen glaubte, umzugehen, verpackt er dementsprechend vorsichtig. »Intellektuell schwierig« sei es gewesen, sagt er zum Beispiel, für seine Verhältnisse vage, und reiht dann ungewohnt ungelenke Formulierungen aneinander. Unsicher sei er, was ihre politischen Positionen anging, und auch die eigenen Parteifreunde unterstellten ihr, so glaubt er zu wissen, nicht sehr verliebt in Inhalte gewesen zu sein. Unsicherheit kommt in seinem Wortschatz als Selbstbeschreibung selten vor und auch Dritte braucht er normalerweise nicht, um seine Thesen zu untermauern.
Dass er Andrea Ypsilanti lange unterschätzt hat, räumt er freimütig ein. Auch, dass er kein Instrument gefunden habe, dieser »schweren Gegnerin« zu begegnen. Und keine Augenhöhe. Dass sie eine Frau ist, war nur eine Ebene dieses »durchaus anspruchsvollen Problems«. Er konnte sie nicht gewohnt ruppig angehen, das hat ihn gehemmt. Schwerer war ihm noch, »dass sie sich den Sachdebatten entzog«. Zumindest seiner Art, sie zu führen: »Sie hatte keine Argumente, aber sie sagte immer Sätze, die die Menschen einfach nett fanden.« Das musste ihn, dem es oft andersherum ging, fuchsen. Wenn er die Wahrheiten, die sie aus dem Lebensalltag der Menschen in die Debatten einbrachte, mit vermeintlich für sie entlarvenden Statistiken konterte, bestätigte er nur das gesetzte Bild des Machttechnokraten im Kampf mit der Herzenspolitikerin.
Eine solche Situation habe es in Deutschland selten gegeben, sagt er. Die exponierte Einordnung dieser außergewöhnlichen Landtagswahl mag eine der wenigen Übereinstimmungen mit seiner damaligen Herausforderin sein. Wenn auch, mit einer ganz und gar unterschiedlichen Akzentuierung des Besonderen.
Den Vorwurf, dass er auch in diesem Wahlkampf bis an die Grenzen und darüber hinausgegangen sei, lässt er unwidersprochen. Diesmal haben ihn extreme Positionen allerdings nicht gerettet, auch wenn er die Debatte um die Jugendkriminalität nicht für wahlentscheidend hält. Sein Spiel mit dem gesellschaftspolitischen Feuer oder auch mit populistischen Ressentiments wie dem Wahlkampfslogan »Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen«, hatte viele Hessen empört.
Die Umfrageergebnisse in den Wochen vor
Weitere Kostenlose Bücher