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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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keines dieser Alphatiere, von denen er ohnehin nicht so recht weiß, was das ist. Aber einer, der führen kann. Viele seien gescheiter als er, aber motivieren und vorangehen, das können eben die wenigsten. Dass er so machtvoll wirke, könne damit zu tun haben, dass er so klein und stämmig ist, mutmaßt er, er selbst nehme das nicht so wahr. Und vielleicht daran, dass er alles im Stechschritt tut, mit seinen kurzen Beinen.
    Schnell lernen könne er, komplexe Sachverhalte verdichten. »Und was ich nicht habe, da gehe ich los und hole es mir.« Man könne ja nicht warten, bis es einem jemand bringt. Natürlich gehört auch Glück dazu und ein Gefühl für den richtigen Moment, in dem es gilt, ins Licht zu treten: »Wenn Sie immer im Regen stehen, sieht Sie keiner.« Allesamt Sätze, die man auf die ein oder andere Weise schon mal gehört hat, aber bei ihm klingen sie anders als in Managementhandbüchern von praxisfernen Vielwissern. Mehdorn wirkt, als lebe er sie exakt mit der Inbrunst, mit der er sie vorträgt.
    Er hat nicht danach gestrebt, Bahn-Chef zu werden. Auf seinem beruflichen Weg hätte es auch vorher schon so manchen Job gegeben, der für ihn freudvolle Endstation hätte sein können. Spätestens aber bei seinem vorherigen Arbeitgeber, den Heidelberger Druckmaschinen, glaubte er, in Rente zu gehen. Deshalb ist Bahn-Chef auch nicht seine Lebensaufgabe gewesen. Aber mindestens »die grandioseste Aufgabe nach dem Krieg«. Dass er sie bewältigen kann, daran hatte er keine Zweifel, »sonst hätte ich sie nicht angetreten«. Ob er die öffentliche Wirkung nach dieser Erfahrung scheuen würde? Da zögert er kurz. Er glaubt nein, aber er hätte wahrlich nie geahnt, dass dieser Job eine solche »Publicity« mit sich bringt. Auf »Fidelitäten« sei er wegen des ständigen Erkennens irgendwann nicht mehr gegangen, und Spaziergänge hat er dort gemacht, wo ihn am besten niemand sah. Manchmal sogar ohne seine Leibwächter, die ihn ansonsten überallhin begleiteten. Aber doch, er hätte diese »einmalige Herausforderung« trotzdem angenommen. »Schließlich war das alles auch ein Riesenspaß.«
    Wer sich die Fotogalerie seiner Amtszeit anschaut, stellt fest, dass in diesen Momenten, in denen er Riesenspaß hatte, die Fotografen zumeist fern gewesen sein müssen. Sein Gesicht wirkt gepresst, von Falten zusammengezogen. Er ruckelt sich im Stuhl zurecht und nimmt diszipliniert Haltung ein: »Na klar war das eine anstrengende Zeit«, sagt er dann, »aber wir hatten so viele großartige Momente, ich möchte keinen einzigen Tag missen.«
    An die Tage, die Entschädigung für die Falten und alle leidvollen Einschläge sind, erinnert er sich genau. Als der neue Berliner Hauptbahnhof 2006 eröffnet wurde, rechtzeitig zur Heim-WM und nach »siebenjährigem Steineklopfen«, das war ein großer Moment. Etwas, das auf eine Weise sein Vermächtnis bleibt, auch wenn sich selbst darum medienträchtige Rangeleien mit dem Stararchitekten rankten. Es gab »große und kleine Highlights« und »man hat Nektar daraus gesogen, wenn man merkt, dass etwas gelingt«. Da sagt er zum ersten Mal nicht ich. Dass die Triumphe triumphaler waren, wenn er sich dabei gegen Widerstände durchsetzen musste, lässt er unkommentiert stehen. Aber widersprechen mag er nicht. Überhaupt hat er sich »nicht besoffen geredet« an den unumstrittenen Erfolgen. Die Bahn sei einfach zu groß, um lange im Freudentaumel zu liegen.
    Bei allem Bemühen um Sachlichkeit kann er die kleinen Frohlockungen dann doch nicht verbergen. Dass die Bahn inzwischen der größte Fahrradverleiher des Landes ist, das freut ihn diebisch, und er unterstreicht die Vergnügtheit mit einem kurzen etwas misslungenen Pfiff. Dabei war das am Anfang nur ein Hobby von ihm. Eines, an das er glaubte. Auch damit war er einsam.
    Ohne Beifall konnte er gut leben, aber als ihm auch die operative Unterstützung verlorenging, leitete er den geordneten Rückzug ein. Jahrelang wurde der Börsengang der Bahn vorbereitet, im Stile der Telekom sollte es eine epochale Emission geben. Die Kapitalmarktfähigkeit war lange erreicht, unzählige Roadshows abgeschlossen, die Broschüren längst gedruckt. Strahlend schön stand die Braut vor dem Altar, als die Investmentbank Lehman pleiteging und damit die Finanzwelt erschütterte. Einer dieser Momente, die unendlich viele Kausalitäten nach sich ziehen, Karriereverläufe und menschliche Schicksale besiegeln, ohne dass je ein Zusammenhang hergestellt wird. In dem

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