Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
alleinerziehende Mutter am Tag der Grenzschließung im Westen blieb. Zufällig, sie war einfach gerade drüben, am 13. August 1961. Schon am darauffolgenden Tag fügte man seiner Akte den einschneidenden Vermerk »Sohn einer Republikflüchtigen« hinzu. Die geplante Ausbildung zum Auslandsmonteur wurde ihm daraufhin verwehrt, wie manch anderer Posten danach. Allzu oft musste er »Leute, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten«, an sich vorbeiziehen sehen. Eine harte Prüfung für einen, der glaubt, das System verändern zu können.
Der DDR hat er den Bau dieser Mauern in seinem ganz persönlichen Lebenslauf nicht übelgenommen, sondern seiner Mutter, die ihn schon als kleinen Jungen erstmals bei der Großmutter zurückließ. Er malt das Zimmer, in dem beide gemeinsam gelebt haben, auf die Tischdecke des noblen Berliner Restaurants, in dem sich der Politbetrieb, dem er schon so lange nicht mehr angehört, an diesem Mittag ein Stelldichein gibt. Ein einfacher quadratischer Grundriss, samt Einrichtungsgegenständen. Es waren nicht viele. Zwölf Quadratmeter und eine kleine Mansarde, in der sein Bett stand. »Hundertzwanzig Mark hatten wir zum Leben. Achtzig Mark Rente und vierzig Mark Alimente von meinem Vater«, verstärkt er sein karges Bildnis. »Aber es war schön.« Wenn nur nicht dieser Zusatz in der Akte gewesen wäre, der ihn zu einem Makelhaften machte. Immer habe er der Beste sein müssen, um wenigstens als mittelmäßig durchzugehen. Er benennt ausschließlich die Hindernisse auf dem Weg zur Systemkompatibilität. Die Verletzungen des alleingelassenen Jungen lässt er unerwähnt. Zu seiner Mutter hat er in all den Jahren keinen Kontakt gesucht.
Die SED hatte eine Verwendung für ihn. Die Zeit in der West-Abteilung war eine wichtige Phase seiner politischen Bildung. Seine Aufgabe: kommunistische Umtriebe im Westen mit Ideologie und Material zu unterstützen. Streng geheim natürlich. Aber er musste Westfernsehen »observieren« und die »einschlägigen« Magazine lesen, um »subversive Elemente« in der BRD ausfindig zu machen. Irgendwann wurde er dort weggelobt, seine Belastbarkeit war nach monatelanger Trennung von der Familie ausreichend getestet.
Wenn Wolfgang Berghofer über sein erstes Leben spricht, entsteht der Eindruck, man höre einem Regisseur zu, der seinen bedeutendsten Film nacherzählt. Derjenige, der ihm sein Renommee verliehen hat und ihn seither festlegt, in seiner Entfaltung hemmt. Nach intensiver Recherche, tief in das Material und die Details eingetaucht, manchmal mit seinen Hauptfiguren verschmelzend und doch immer wieder relativierende Distanz zum fiktiven Material suchend. So präzise er hineinzoomt in die Einzelheiten einer zeitgeschichtlichen Politikerlaufbahn, Sitzordnungen originalgetreu nachstellt, Wortbeiträge rezitiert, selbst Mobiliar und Gerüche präzise beschreibt, so mühelos zoomt er sich auch wieder heraus und nimmt die Perspektive des unbeteiligten Zuschauers ein. Insbesondere dann, wenn die Grausamkeit der Repression und die anhaltende Unbestimmtheit seiner eigenen Rolle ihn zum entlastenden Fintieren und zu Floskeln zwingen.
Ob er sich dieses Perspektivwechsels vom Handelnden zum Betrachter bewusst ist? Er denkt kurz nach und sagt dann mit fester Stimme: »Ja«. Er habe schon lange gefremdelt. Nicht mit der Idee des Sozialismus, die findet er bis heute gut. »Aber mit der Art, wie er gemacht wurde« in seinem Arbeiter- und Bauernstaat, »das war schlecht.« Er wollte es besser machen als die Alten, das war seine Grundposition. Dass er irgendwann die Chance dazu bekam, zumindest im überschaubaren Rahmen Dinge zu verändern, trotz »des Vermerks in der Akte« und seiner störenden Widerspenstigkeit, verwundert ihn noch heute selbst. Seine verlässlich eingestreuten Anekdoten vermitteln den Eindruck launiger Renitenz gegenüber dem Regime und dessen Unterwanderungen. »Wenn ich ans Telefon ging, habe ich immer zuerst gesagt: Gehen Sie mal aus der Leitung, hier unterhalten sich zwei Stalinisten«, berichtet er feixend von seinem humorigen Widerstand. »Ich wusste ja, das Haus war aus sowjetischem Beton gebaut, ein Drittel Sand, ein Drittel Beton, ein Drittel Mikrophone.« Irgendwann hat ihm dann mal einer seiner Vorgesetzten gesagt, er solle das besser lassen.
Trotzdem bugsiert ihn eine Instanz nach oben auf der Karriereleiter. Mit der Aufgabe als Organisator von »Jubelfesten« in der ganzen Welt, mit bis zu 750000 Teilnehmern, qualifizierte er sich in den
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