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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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Augen der Entscheidungsbefugten dafür, eine Stadt zu regieren.
    Egon Krenz war derjenige, der veranlasste, hinter den Namen Berghofer eine neue Funktion in die Kladde zu schreiben, und der ihm im Vorbeigehen zurief: »Du gehst nach Dresden.« In welcher Funktion, das wusste der Beförderte lange nicht. Irgendwann saß er dann als OB-Kandidat vor der längst überzeugten Stadtverordneten-Versammlung und »alle durften die Hand heben«.
    »Wissen Sie«, schlüpft ihm ein scheinbar unausweichlicher Gedanke in die penible Chronologie, »der Westen ist ja auch ein bisschen ungeschickt gewesen in seiner Selbstdarstellung. Hätte das Westfernsehen die Errungenschaften der freien Marktwirtschaft selbstbewusster herausgestellt, die DDR wäre schon viel früher am Ende gewesen.« Statt blühende Landschaften zu zeigen, moserte man sich um die eigene Stärke und beschimpfte sich im Parlament. Er wundert sich schon über so manche Eigentümlichkeit seiner westdeutschen Landsleute.
    Dann wechselt er wieder die deutschen Welten, das mittlerweile beachtliche Temperamentsniveau aber behält er bei: »Der Sozialismus wird immer auf die Machtausübung der SED reduziert, das ärgert mich.« Anders hätte es vielleicht funktionieren können, ist der unausgesprochene Subtext. Daran glaub- te er zumindest damals.
    Als Oberbürgermeister hat er die Tücken des repressiven Systems kummervoll erfahren. Die mit Aggression gehegte Fassade war nur noch leidlich imstande, die Wahrheit zu verbergen. Alle hätten an einem Tischtuch gezogen, »aber von den hundert Prozent der Probleme wurden höchstens zehn Prozent überdeckt«. Er hebt sich kurz aus seinem tiefen Sessel und verleiht der Metapher pantomimisch Gewicht. Beim Anblick von Dresden habe er sich gefragt: »Ist das nun Barock, oder Barack?«, kalauert er. Ein mieser Job sei das eigentlich gewesen, mit all den vorgesetzten Instanzen und eintausendachthundert Mark Gehalt. »Und alle dachten, der schwimmt auf der Fettsuppe.«
    Dieses Urteil fürchtet er noch heute. Ein Günstling gewesen zu sein. Dabei waren die Westreisen als Teil seiner repräsentativen Aufgabe das einzige Privileg. Ansonsten war auch er nur ein austauschbarer Teil des Apparates: »Wir waren doch alle nur Erfüllungsgehilfen.« Die hauptamtlichen Strukturen der SED hätten vorgegeben, wo es langgeht. Er hat versucht, sich Nischen zu schaffen gegen die Machtlosigkeit, und wurde dabei zu einem populären Stadtoberhaupt. »Wenn es zu dieser Zeit demokratische Wahlen gegeben hätte, ich hätte jede Wahl gewonnen«, postuliert er seine ganz persönliche, wenn auch nur gefühlte Befreiung aus dem Zuneigungsdiktat.
    Wie krank der Patient Sozialismus tatsächlich war, hat er als Stadtregent verstanden. Die katastrophalen ökonomischen Fakten und die verschlissene Infrastruktur waren unübersehbar. Nun begann er zu zweifeln, ob er es wirklich besser machen könnte. Ob es überhaupt noch etwas zu retten gäbe.
    Nach außen wurde die Macht mit gefälschten Wahlergebnissen abgesichert. Eigentlich unnötig bei einer neunundachtzigprozentigen Zustimmung. Um als Vorbild des Sozialismus zu gelten, musste das Ergebnis jedoch auf neunundneunzig Prozent geschönt werden. ›Das Volk steht hinter uns‹, wurde als Zeichen an Gorbatschow gesendet und zeitgleich lagen auf meinem Schreibtisch fünfundzwanzigtausend Ausreiseanträge«, belegt er die ernüchternde Fluchtbewegung der Dresdner Bürger, insbesondere »der Eliten« seiner Stadt.
    Wolfgang Berghofer ist einer der wenigen, die für den systematischen Wahlbetrug angeklagt wurden nach dem Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik. Seine Bewährungsstrafe nimmt er inzwischen ohne Bitternis entgegen. »Ich wollte alles auf mich nehmen und offenlegen.« Die Strategie seines Anwaltes Otto Schily, da es keine wirklichen Wahlen gegeben habe, könne es auch keinen Wahlbetrug gegeben haben, überzeugte ihn nicht. Er will seine Verantwortung annehmen, anders als all diejenigen über ihm, »diese charakterlosen Lumpen, die plötzlich behaupteten, sie hätten von solchen Umtrieben aus der Zeitung erfahren«. Und die Schuld nach unten durchreichten. An dieser Stelle löst sich die sorgsame Verpackung der Enttäuschung über die geraubten Ideale erstmals ganz und gar auf. »Den Arsch an die Wand und das Gesicht zum Volke«, das sei die Maxime seiner Vorgesetzten gewesen, die ihn auf so üble Weise getäuscht haben. Wie Feuer habe die Zeit vor Gericht auf der Haut gebrannt. Die Narben fühlt

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