Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
er noch immer.
Eigentlich begann die Entfremdung schon früher. Jetzt ist er wieder gefasst. Seit 1986, nach der Entdeckung der Schwächen des Systems. Und auch durch die Impulse, die er als Bürgermeister durch die Zusammenarbeit mit westdeutschen Kollegen wie von Dohnanyi, Voscherau oder Biedenkopf bekommen hat. Er sah das Dilemma, aber er fand keine Lösungen. Vor allem, weil er sich nicht vorstellen konnte, »dass die Großmächte uns freigeben.« Er hat Leute wie Mitterrand besucht, die keinen Zweifel daran ließen, »dass sie Deutschland so gerne haben, dass sie unbedingt zwei davon behalten wollten.«
Heute fühlt er sich mal wieder erinnert an diese Zeit. Alle sehen die Probleme, geben ihnen unterschiedliche Namen, aber Lösungen, die habe niemand so recht parat. Na ja, das ist seine Sache nicht. Er schaut sich im Lokal um, beobachtet kurz die geschäftigen Gespräche seiner ehemaligen Politikerkollegen und winkt dann indigniert ab: »Das sollen die hier regeln!«
Damals habe es drei Varianten gegeben, mit dem verstetigten Eindruck des Desasters umzugehen. Die erste war, in den Westen zu gehen, »abhauen«, sagt er, »Angebote gab es immer«. Aber das kam nicht infrage, wegen seiner Familie und wegen der Ideologie. Er sei Moralist. Davor kann man nicht davonlaufen.
Die zweite Idee war, zu putschen und sich auf diese Weise gegen den Zerfall seiner Ideale zu stemmen. Gemeinsam mit Schalck-Golodkowski hat er Egon Krenz, den designierten SED-Kronprinzen, zum Gespräch gebeten. In einem Haus, das nicht aus sowjetischem Beton gebaut war. Sie haben ihn zu sensibilisieren versucht, für die Auswirkungen des verheerenden Außenhandelsdefizites und die ganz pragmatischen Nöte einer Großstadt wie Dresden. »Genossen, Ihr müsst Eure politische Arbeit besser machen«, war die ungerührte Reaktion auf das hasardeuse Ansinnen. Und der Beschluss zum Untergang, wie Wolfgang Berghofer apokalyptisch formuliert. Er schaut dabei so verständnislos drein, als sei ihm das Schreckgespenst gerade erst begegnet.
Also hat er die dritte Möglichkeit gewählt: das Beste daraus zu machen. Er sagt das auf eine unflätigere Weise, dem Ausmaß seiner Desillusionierung entsprechend.
Wolfgang Berghofer will nicht so viel über einzelne Menschen sprechen, auch wenn es so vieles zu sagen gäbe, über diejenigen, denen er so lange bedingungslos gefolgt ist. Unumwundende Seelenerleichterung hat ihm in den vergangenen Jahren immer eine Menge Ärger und juristische Kabbeleien eingebracht. »Jeder hat ja seine eigene Sicht der Dinge.«
Dass er die friedliche Revolution unterstützt hat, durch das Unterlassen militärischer Interventionen, mag er sich nicht ans Revers heften: »Ich habe vielleicht einen Beitrag geleistet, aber ich habe die Revolution nicht gemacht, das waren die Leute auf der Straße.« Ob er nicht hätte eingreifen müssen, gegen die ersten Zeichen des Aufbegehrens in Dresden, im Sinne seiner bedingungslosen Pflichterfüllung? Seine Aufgabe wäre das schon gewesen, »aber wie hätte ich das denn machen sollen, ich war doch der gleichen Meinung wie die Demonstranten«. Er ließ sie gewähren und besiegelte damit auch seinen eigenen politischen Abstieg.
Als die Mauer fiel, war er in Dresden, »irgendwie gelähmt«, auch wenn er inzwischen längst wusste, dass diese Entwicklung unaufhaltsam war. Genauso wie an dem Tag, als Honecker stürzte und das Land führungslos wurde. Es gab dann einen Arbeitskreis in der SED-Zentrale in Berlin, ohne formale Legitimation und ohne Zuversicht. »Wir haben endlos debattiert, wie in der Französischen Revolution«, rekapituliert er die entscheidenden Stunden des ostdeutschen Umbruchs. Jede halbe Stunde wurde die Gruppe von einer neuen Hiobsbotschaft heimgesucht, die Stasi-Verwaltung in Halle gestürmt, das Politbüro in Bautzen. Ob das für ihn tatsächlich noch Hiobsbotschaften gewesen sind? »Sie haben recht, das stimmt eigentlich gar nicht.« Aber er hat noch nach Einfluss gesucht, um die Abwicklung seiner enttarnten Utopie mitgestalten zu können. »Die Macht lag auf der Straße und niemand hat sie aufgehoben.« Modrow habe gewollt, dass er die Partei übernimmt, nachdem er selbst Ministerpräsident geworden war. Aber die Partei war ihm immer suspekt, also hat er abgelehnt.
So wie auch später, als die SED auf einem historischen Parteitag zur PDS und er zum Stellvertreter des Parteivorsitzenden Gregor Gysi gewählt wurde. Er fand keine Heimat in dieser neu formierten Diaspora. Er hatte
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