Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Parteifunktionärs und sind wieder hingerissen.« Die Geschichte sei nun mal komplizierter, als sie dargestellt wird. »Aber Geschichte ist leider sowieso nicht das, was war, sondern was geschrieben steht.« Er zeigt mit dem Finger auf mich und sagt gespielt flachsend: »Das ist auch Ihre Verantwortung.«
Wolfgang Berghofer hat die Rückkehr an die Macht, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, noch einmal versucht. 2001 bewarb er sich erneut für das Oberbürgermeisteramt in Dresden. »Ach diese leidige Sache«, stöhnt er auf und zieht sich das Jackett zum Aufbruch zurecht. Es sei noch zu früh, ausführlich darüber zu reden. Er hat verloren, nach einem halbherzig geführten Wahlkampf. Aber wirklich gewinnen wollte er diese Wahl ohnehin nicht. Ein anderer sollte es eben nur nicht werden. Er hat sich zur Verfügung gestellt, um Unheil zu verhindern. Ungeachtet des Imageschadens, weil viele seinen halbgaren Auftritt nicht verstanden haben. Für seine geliebte Stadt. Einmal bedingungslos, immer bedingungslos. Vielleicht kann er es auch dabei belassen.
Wenn die Überzeugung für eine Sache, der Glaube an die eigene Bedeutung oder an eine größere, gesellschaftsgestaltenden Idee so tief sind, dass sie den Strauchelnden zum tollkühnen Vorangehen verleiten, ist der Blick für die untrüglichen Zeichen der Isolation oft getrübt. Die Dynamik des Handelns verstellt die Realitätswahrnehmung. Die ganze Konzentration gilt dem nächsten Zug, der die Befreiung bringen soll. Das Interview, das Sachverhalte zurechtrückt; die Parteigründung, die den Menschen wieder Zuversicht bietet; der spektakuläre Deal, der die Insolvenz abwendet; das bevorstehende Fußballspiel mit dem rettenden Ergebnis. Die Angst vor dem Machtverlust füttert den Mut der Verzweiflung. Die zunehmende Verzettelung in Nebenschauplätze gibt dem Akteur das beruhigende Gefühl von Aktivität, die jedoch längst nicht mehr vorwärtsgewandt, sondern nur noch Schadensbegrenzung ist. Dabei sind unerschütterliches Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit, das Wissen um die klarste, umfänglichste Innenansicht die Triebkräfte für ein Aufbäumen, das allen Signalen trotzt. Der ungestüme Versuch, die Zügel wieder in die Hände zu bekommen, auch wenn die Herde längst in alle Winde verstreut ist.
Die eigenen Leute zu verlieren, Zurückweisungen und menschliche Enttäuschungen zu erleben sind diejenigen Erfahrungen, die Betroffene und deren Lesart ihres Scheiterns nachhaltig prägen. Aber sie taugen auch dazu, das Verarbeiten der eigenen Fehler zu erleichtern oder deren Existenz gar ganz und gar auszublenden. So wie die Verknüpfung des Scheiterns mit einem schicksalhaften, gewaltigeren Ereignis wie einem kollabierenden Finanzmarkt, einem zerfallenden System oder einer Naturkatastrophe.
Es hat eine gewisse Logik, dass auch die Berufung in ihr neues Amt erst im zweiten Anlauf über die Bühne geht. Als Tanja Gönner, die ehemalige baden-württembergische Umweltministerin, zur Vorstandsvorsitzenden der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ernannt werden soll, schickt sie der Aufsichtsrat noch einmal in die Warteschleife. Nicht ihre Position ist strittig, sondern die anderer Vorstandsmitglieder, und das Gremium soll en bloc bestellt werden. Wie bei den prägnanten Erfahrungen ihrer jüngsten politischen Vergangenheit, ist sie auch hier Gefangene der Umstände. Diesmal allerdings geht es am Ende gut für sie aus.
Tanja Gönner kommt schwungvoll und auftrittssicher in das szenige Künstlercafé, als wir uns kurz vor Weihnachten zu einem Vorgespräch treffen. Die Kontaktaufnahme war unkompliziert. Vor der Bereitschaft, über ihre rasante politische Karriere und vor allem über deren jähe Unterbrechung zu sprechen, sollte allerdings erst eine vertrauensbildende Maßnahme stehen. Sie ist misstrauisch geworden nach den Ereignissen um den Bahnhof, der zum Symbol für Mitbestimmung wurde, und angesichts der Wucht, mit der eine neue Form bürgerlichen Aufbegehrens die Politikerin traf. Die Landtagsgaststätte scheint ihr ein geeigneter Ort für das Abtasten zu sein. Hier ist sie einfache Abgeordnete, hier fühlt sie sich sicher. Doch die Kantine ist an diesem Tag geschlossen und so wird schon die Verabredung eines neuen Treffpunktes zu einer Zeitreise. In so manchem Stuttgarter Café ist sie nicht mehr willkommen, seit sie zum Gesicht eines Bauprojektes wurde, dessen Realisierung andere viele Jahre zuvor beschlossen hatten. Beim Mittagessen am selben
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