Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Landtagswahl hat sie ausgeschlafen, zum ersten Mal seit Monaten. Um zwölf Uhr ist sie dann wählen gegangen, in ihrem Wahlkreis, mitsamt den obligatorischen Pressefotos. Sie repetiert den Ablauf des neuralgischen Tages jetzt stenographisch und legt Wert darauf zu versichern, sie sei ganz ruhig gewesen, habe sich nicht damit beschäftigt, was sie an diesem Tag noch erwartet. Ob sie als bestätigte Ministerin oder als Abgewählte nach Hause kommt. Welche Worte sie am Abend in Kameras sprechen, wie ihr Leben am darauffolgenden Tag aussehen würde. Kein Platz für Tanjas Gedanken in der Dramaturgie der Politikerin Tanja Gönner.
Im Stuttgarter Staatsministerium wurde sie am Nachmittag mit den ersten Hochrechnungen empfangen. Ihre CDU war erwartungsgemäß stärkste Fraktion, aber die Stimmverhältnisse ließen keine Regierungsbildung unter CDU-Vorherrschaft zu. In Anbetracht fehlender Koalitionsbereitschaft der »erfolgsbesoffenen SPD« und einer grünen Partei, die nun die Chance hatte, erstmals einen Ministerpräsidenten zu stellen, blieb ihr nur die Niederlage anzuerkennen: »Daraufhin habe ich mir erst mal einen Schnaps gegönnt.«
An diesem Abend ist es ihr schwergefallen, den ritualisierten Interviewmarathon weitestgehend allein zu erledigen und dabei eine Sprachregelung zu vertreten, die sie selbst nur mittelmäßig überzeugte. Sie wäre lieber kraftvoller erschienen, als Vertreterin der stärksten Partei, hätte nicht klein beigegeben und den Gegner noch etwas mit Koalitionsoptionen geärgert.
Überhaupt ist Tanja Gönner eine Frau, die mit einer bemerkenswerten Selbstsicherheit auftritt. Mancher aus ihrem »politischen Freundeskreis« hat das so interpretiert, als fände sie sich besser als den Rest. Medientauglicher, klüger und ambitionierter sowieso. Gewollt hat sie das nicht, auch wenn ihre mitunter in kontroversen Diskussionen aufflackernde ungeduldige Gereiztheit den Eindruck von Überlegenheit vermitteln kann. Politiker sind auch in der eigenen Partei immer im Wettbewerb. Um die wichtigste Position, das beste Wahlergebnis, das beachtetste Zitat. Das Gefühl der Unterlegenheit macht Wettbewerber zu Gegnern. »Gerade in der heißen Phase waren die Fraktionssitzungen oft unendlich anstrengend, wir waren am Schwimmen und dann gab es immer Leute, die es besser wussten.« Da hat sie schon mal gedacht: »Rutscht mir doch den Buckel runter.« Und das wohl auch ausgestrahlt. Der ein oder andere Brüskierte hat ein Kreuzchen auf seinem Merkzettel gemacht.
Und dann ist da noch die Sache mit der Kanzlerin. Nicht gerade die Galionsfigur der baden-württembergischen CDU, die sich häufiger als andere Landesverbände mit Querulantentum gegenüber der Chefin hervortut. Ob es nutzt oder schadet, als Vertraute von Angela Merkel zu gelten? Über dieses Thema mag die wortgewandte Schwäbin nicht so gerne reden. »Mal so, mal so«, sagt sie kurz. Und verweist auf die Aufmüpfigkeit ihrer Landtagsfraktion: »Da gibt es sicher einige, die sich daran eher stören.« Aber wenn man ihre politische Laufbahn in Gänze betrachtet, kann es so hinderlich ja nicht gewesen sein. Auch wenn sie es nie bewusst eingebracht hat. »Das Verhältnis zu jemandem muss nicht öffentlich diskutiert werden.« Dann fällt ihr eine Geschichte ein und sie kommt doch noch ins Plaudern. Auf ihren vierzigsten Geburtstag fiel zufällig eine Reise der Kanzlerin in ihren Wahlkreis. Spätestens nach der morgendlichen Glückwunsch-SMS wusste Tanja Gönner, dass Angela Merkel nicht zu ihrer Feier kommen würde, geplant war es sowieso nie. Dennoch war das ganze Dorf in Aufruhr, alle erwarteten einen Überraschungsbesuch und putzten sich und ihre Gemeinde entsprechend heraus. »Ich musste das Thema in meiner Rede abräumen, um die ganz große Enttäuschung zu vermeiden und um nicht hinterher die Schlagzeile zu lesen ›Kanzlerin versetzt Gönner‹.« Sie scherzt jetzt über diese vergnügliche Episode, aber der Geburtstag war ihr damals gehörig verdorben, nach dem ganzen Getöse. Auch wenn sie erst nach und nach erfahren hat, wie groß der Auftrieb in ihrer Nachbarschaft tatsächlich gewesen ist.
Aber wieder zurück zur großen Politik. Bündnisse zu schließen ist ja eigentlich eher eine Männersache. Sie sieht es als Fortschritt, dass sich auch Frauen gegenseitig unterstützen: »Die Kanzlerin weiß, dass sie sich auf mich verlassen kann.« So wie sich Stefan Mappus auf sie verlassen konnte. Auch so eine Allianz, die ihre Tücken hatte. Als
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