Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
allerdings nicht so an.« Die Härte der Kritik hat sie schockiert, die persönlichen Angriffe in Mails und Blog-Einträgen erschüttert. Gelesen hat sie sie dennoch: »Ich wollte wissen, was die Menschen denken.« Auch diejenigen, die ihre Meinung anonym und verantwortungsfrei in virtuellen Schutzräumen ausbreiten. Aber es ist ihr schwergefallen, jede der Beschimpfungen zu abstrahieren und auf das Amt zu beziehen. »Ich war in dieser Zeit immer gefährdet, auch als Mensch Schaden zu nehmen«, lüftet sie die Wunden mit existentiellen Worten: »Es gab die Möglichkeit, daraus etwas zu gewinnen oder daran kaputtzugehen.« Nach der Betroffenheit zu einem Maß an Gelassenheit zurückzufinden, dafür habe sie Zeit gebraucht. Wenn es denn erreichbar ist. Oder überhaupt ein sinnvolles Ziel.
Dass nicht alles ihre Aufgabe war, was sie in dieser Zeit zu ihrer Aufgabe gemacht hat, sagt sie ohne Verdruss und auch ohne Überheblichkeit. Sie ist loyal zu ihrem damaligen Ministerpräsidenten, dem ungeliebten Stefan Mappus, der immer häufiger den massiven Kopf einzog und seine Ministerin vorschickte. Sie hat den Auftrag angenommen und ist durch die allabendlichen Talkshows getingelt. Aus Überzeugung für das Projekt und »weil sonst keiner da war«. Oft wurden andere Kollegen angefragt, aber die scheuten den im Vorhinein verlorenen Posten. Dann sei sie eben hingegangen, um den Gegnern nicht vollends das Feld zu überlassen. Und um den Menschen zu zeigen, »dass nicht alles Murks ist, was Politiker machen«.
Wie sie sich persönlich am ertragreichsten positioniert, darüber hat sie nicht nachgedacht: »In dieser heißen Phase hatte ich keine Zeit, mich mit meinem Bild zu beschäftigen«. Austausch hat sie dennoch gesucht und sich immer wieder mit ihrem Pressesprecher beraten, »auch noch nach den Sendungen, nachts um halb drei«. Bei Beckmann und Plasberg saßen zudem Freunde im Publikum, für ein ehrliches Feedback. Sie wollte es beim nächsten Mal noch besser machen. »In der Sendung ist man so konzentriert auf die Botschaft, die Kameraeinstellung und die Suche nach der Situation, in der man mal jemandem ins Wort fallen muss, dass es keinen Moment zur Reflexion geben darf, sonst ist man verloren.« Sie hat ihre Pflicht, einsam Punkte zu sammeln für die umstrittene Position, weitestgehend unbeschadet absolviert. Manchmal sogar einen Achtungserfolg errungen. Vor allem während der sechswöchigen Liveübertragung des Schlichtungsverfahrens, im Duell mit dem sakrosankten Moderator Heiner Geißler. Sie glaubt, am Ende habe der Polit-Haudegen sie sogar respektiert, auch wenn er seine Parteikollegin während des Verfahrens ein ums andere Mal effektvoll abwatschte. »In den ersten Wochen hat er eigentlich nur mit dem Ministerpräsidenten reden wollen, irgendwann hat er dann akzeptiert, dass ich die richtige Ansprechpartnerin bin«, verbucht sie die Spielchen mit geübter Langmut. Machtdemonstrationen wie diese hatte sie lange vorher schon kennengelernt.
Die Fernsehbilder haben ihr Gesicht bundesweit bei den Menschen verankert. Auch wenn der Bahnhof ein lokales Projekt ist, dessen Streitpotential außerhalb Baden-Württembergs die wenigsten auf den Punkt bringen können. Der Name Tanja Gönner wird mit Stuttgart 21 verbunden bleiben, das spürt sie an der Reaktion der Menschen, sowohl der lauten als auch der stillen. Angesprochen wird sie vor allem von Befürwortern. Es sind viele, auch wenn man das nicht so wahrnimmt, weil sie selten mit fernsehtauglichen Meinungsäußerungen identifizierbar werden. Dafür in der Bahn, wenn sie zu ihrem Lieblingsclub, dem VfB Stuttgart ins Stadion fährt, im Taxi in Berlin oder beim Spaziergang an der Hamburger Alster.
Sie lässt sich nicht täuschen von wohlwollenden Begegnungen, auch wenn sie ihr spürbar guttun. Weil sie weiß, dass es auch eine andere Sicht gibt. Dass das Projekt Angriffsflächen bot und alle Beteiligten einen Beitrag zur unheilvollen Eskalation geleistet haben. Und zu bleibenden Verletzungen. Den verhängnisvollen Tag des Wasserwerfereinsatzes der Polizei gegen Demonstranten, bei dem es Schwerverletzte gab, diese Bilder wird sie nicht los. Sie hatte sich schon am Morgen unwohl gefühlt, weil sie wusste, »dass es ein schwerer Tag wird«. Und dachte an den Spruch: »Verantwortung lastet auf Schultern«. Auch wenn sie nichts mehr ändern konnte, »als die Kette in Gang gesetzt war.« Die Ohnmacht habe lange angehalten. Das Bedauern wird wohl immer bleiben. So wie der Wunsch,
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