Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
der Ablauf des verheerenden Tages, die Klärung der Schuldfrage würde differenziert bewertet. »Aber das ist unendlich schwer zu erreichen.«
Erleichtert, wenn auch nicht vollends befreit, hat sie der Volksentscheid, ein halbes Jahr später, in dem eine veritable Mehrheit der Wähler für das Projekt Stuttgart 21 stimmte. Für ihre Wahrheit. Und für die Hoffnung, dass im Zeitverlauf die Errungenschaft des Bahnhofsbaus die Bilder des bizarren Kampfes überdecken werden. »Dieses Votum hat mir extrem viel bedeutet.« Sie unterstreicht die Aussage und ihre innere Rehabilitation mit einem bedächtigen Innehalten.
Tanja Gönner hat sich verändert in dieser Zeit, das weiß sie jetzt. Nicht nur, weil sie Gewicht verloren hat. Die Heftigkeit der öffentlichen Kritik, die Last der Verantwortung und die verstörende Wirkungskraft so mancher Entscheidungen haben sie achtsamer gemacht, im Blick auf andere Entscheidungsträger und in der Gestaltung ihres eigenen beruflichen Weges.
1996, als der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel während eines Mittagessens anrief, um sie zur Sozialministerin zu machen, hatte sie nur einen kurzen Moment Zweifel an der Zwangsläufigkeit ihres politischen Aufstieges. Es waren, so sagt sie, für lange Jahre die letzten. Innerhalb eines Tages musste sie entscheiden: »Ich war ungebunden, jung und alle Menschen, die mir wichtig sind, haben mir zugeraten.« Dann hat sie noch vor Ablauf der Frist zugesagt: »Je länger man nachdenkt, desto unsicherer wird das Ergebnis.«
Die Vereidigung als Ministerin sei ein Glücksmoment gewesen, einer von denen, die im Gedächtnis bleiben. So, wie das beachtliche Ergebnis der Landtagswahl 2006 und die Freude, als sie ihr »Erneuerbare Energien Gesetz« im Landtag »durchgebracht« hat. Sie hat lange Zeit vor allem positive Erlebnisse angesammelt, auch wenn die Zusammenarbeit mit drei unterschiedlichen Ministerpräsidenten durchaus fordernd gewesen ist. Auf den bodenständigen Erwin Teufel folgte der akkurate Günther Oettinger, der ihr aus parteitaktischen Gründen das Ministerium zurechtstutzte. Sie wusste, dass er sie am liebsten ganz losgeworden wäre, weil sie dem anderen Lager angehörte, in der zerklüfteten Landtagsfraktion. Also habe sie versucht, im geschrumpften Rahmen unübersehbare Zeichen zu setzen. Und durchgehalten, bis Oettinger nach Brüssel aufstieg und mit Stefan Mappus ein guter Freund ihr neuer Chef wurde.
Jetzt gab es keine Widersacher und keine Karrierebarrieren mehr. Es fehlte nur noch ein routinierter Wahlsieg im CDU-Stammland und das geeignete bundespolitische Amt für den avisierten Sprung ins Berliner Kabinett.
Am Abend des Tsunami hat Tanja Gönner einen Krisenstab eingerichtet. 11. März 2011, sechzehn Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg, erbebte Japan, und als am darauffolgenden Tag die erste Explosion aus dem Atomkraftwerk in Fukushima gemeldet wurde, bebte auch die Führungsriege der Landes-CDU. Trotz der Bahnhofsturbulenzen hatte die Platzhirschpartei in den Umfragen vorne gelegen. Bis zu diesem Tag. Doch das Ereignis, das die Atompolitik ihrer Partei mit einer unaufhaltsamen Welle ad absurdum führte, »hatte die Kraft, alles zu drehen«. »Wir wussten, wir können nur noch reaktiv sein«, schildert die Ex-Ministerin den Wettlauf mit dem drohenden Fiasko: »Die Zeit war zu kurz, um die Emotionen der Bürger in den Griff zu bekommen.« Ruhe bewahren und gleichzeitig Tatkraft demonstrieren war die Strategie des tollkühnen Krisenmanagements, im Kampf gegen täglich schwindende Prozentpunkte. Sie registrierte, wie der ein oder andere Kollege um sie herum in Hektik verfiel, in Erwartung der Wahlniederlage. Sie selbst hat sich keine Gedanken darüber gemacht, was das für ihre persönliche Zukunft bedeutet. Sie hat einfach getan, was ihr vertraut war: Funktionieren. Fernsehauftritte abspulen, Termine durchziehen und Erklärungen verbreiten, die die Menschen daran glauben lassen sollten, dass es für eine zukunftsorientierte Energiepolitik keinen Regierungswechsel braucht.
Fünf Kilo abgenommen hat sie in dieser »brutalen Zeit« und zeigt auf ihren Nacken: »Hier, alles war bretthart.« Verantwortung lastet auf Schultern. Das Managen der konkreten Furcht der Menschen vor den Auswirkungen eines Atomunfalls war noch komplizierter als das der ungestümen Wut der Bahnhofsgegner. Eine unfassbare Zukunftsangst braucht andere Antworten als eine emporkommende Empörungskultur.
Am Tag der
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