Macht Musik schlau?
betätigen mussten. Der Einsatz von echten Musikinstrumenten im Magnetresonanztomographen ist praktisch unmöglich, da in den Instrumenten metallische Teile eingebaut sind, die natürlich in dem starken Magnetfeld des Magnetresonanztomographen zu Störungen führen würden. AuÃerdem ist der Durchmesser der «Magnetröhre», in welche die Versuchspersonen hineingeschoben werden, sehr schmal, so dass die Verwendung von experimentellem Gerät in dieser Umgebung auÃerordentlich schwierig, manchmal sogar unmöglich ist. Deshalb verwendet man entsprechend angepasste Geräte. Meistens sind dies einfache, nichtmetallische Reaktionstasten, und manchmal werden auch einfache Holztastaturen verwendet. Lediglich in einem Experiment kam ein speziell angefertigtes Klavier zur Anwendung, aus dem alle metallischen Teile entfernt und durch entsprechende nichtmetallische Ersatzteile ersetzt worden waren. Es erstaunt deshalb nicht, dass bislang nur sehr wenige «brauchbare» Arbeiten publiziert worden sind, die uns einen Einblick in die Hirnaktivitäten während des Musizierens geben. Eine Ausnahme bieten zwei Studien, in denen die Hirnaktivitäten während des Musizierens mittels EEG gemessen wurden (Kristeva, Chakarov, Schulte-Mönting und Spreer, 2003; Petsche, von Stein und Filz, 1996). Allerdings kamen hier relativ einfache und kurze Musikstückezur Anwendung, so dass bislang keine sicheren Erkenntnisse über die Hirnaktivität während einer «echten» Aufführung vorliegen. Gerade dies wäre aber von besonderem Interesse, denn wenn man musiziert, müssten eigentlich viele Hirngebiete simultan aktiv sein.
Wahrscheinlich ändert sich das Hirnaktivierungsmuster je nach Talent, Ãbungsgrad und Zugang zum Musikstück. Gerade Letzteres ist meines Erachtens ein wichtiger Aspekt, der mir von vielen Musikern immer wieder berichtet wurde. Der gleiche Musiker kann das gleiche Stück ganz unterschiedlich spielen. Ich konnte das eindrücklich erleben, als wir in unserem Züricher Labor den Pianisten Chris Seed untersuchten. Das bemerkenswerte an Chris Seed ist, dass er unter anderem auf einem
reversed
(umgedrehten) Piano spielt (vgl. auch Abschnitt 4.6). Das heiÃt, die hohen Töne sind auf der Klaviertastatur links und nicht wie üblich rechts angeordnet. Chris Seed spielt nicht nur auf der umgedrehten, sondern auch auf der normalen Tastatur. Er kann zwischen diesen beiden Spielmodi hin- und herwechseln, was auf einem digitalen Piano problemlos bewerkstelligt werden kann. Interessant daran ist, dass er angibt, mit den unterschiedlichen Tastaturanordnungen jeweils anders zu spielen. Und zwar hat er den Eindruck, dass er beim Spielen mit den umgedrehten Klaviertasten wesentlich emotionaler spielen würde. Chris Seed ist ein Linkshänder, der offenbar beim «umgedrehten» Klavier mit seiner dominanten und geschickteren linken Hand die Melodien mit stärkerer Betonung spielen kann, während die rechte Hand jetzt eher die untergeordneten rhythmischen Elemente spielt. Dieses Beispiel zeigt, dass der gleiche Musiker je nach den technischen Grundvoraussetzungen einen anderen Zugang zur Musik findet.
Während bei Chris Seed dieser Wechsel vom emotionalen zum eher rationalen Stil durch die Anordnung der Tastatur hervorgerufen wird, können bei anderen Musikern solche Wechsel im Spielmodus zufällig und je nach Stimmung wechseln. Mir erzählte kürzlich eine Pianistin, dass sie immer dann am besten spiele, wenn sie so etwas wie ein
Flow-Erlebnis
54 habe. Wenn es ihr gelinge, nach den ersten Noten quasi abzuschalten und nicht mehr über ihr Spielen nachzudenken, spiele sie sehr gut und auch befreit. Umgekehrt spiele sie bei bewusster Kontrolle ihres Spiels nicht nur schlecht, sondern entwickle auch Ãngste, die wiederumihr Spiel negativ beeinflussen würden. Gelegentlich entwickle sie dann auch Blockadegefühle und könne gar nicht mehr spielen. Leider sind bislang noch wenige neuropsychologische Untersuchungen publiziert worden, die solche Phänomene genauer untersucht hätten. Deshalb kann man derzeit nur spekulieren, welche Hirngebiete bei solchen Tätigkeiten aktiviert sind.
Eine der wenigen Arbeiten, in denen das Flow-Phänomen beim Musizieren untersucht wurde, hat die Arbeitsgruppe um den Musikphysiologen Eckart Altenmüller 2003 publiziert (Kohlmetz et al., 2003). Sie haben Hirnströme bei einem Pianisten gemessen, der 28
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