Macht Musik schlau?
Halluzinationen auftreten, die Patienten reden viel und schnell (Logorrhö) oder fühlen sich gezwungen, künstlerisch und musisch tätig zu sein. Diese Zwänge, viel zu tun, erwecken manchmal den Eindruck, dass die Patienten unter einer leichten unterschwelligen Manie (Hypomanie) leiden würden. Diese zwanghaften Handlungen sind wahrscheinlich darin begründet, dass die im Schläfenlappen gespeicherten Informationen als Folge einer Läsion oder Dysfunktion ungehindert und unkontrolliert abgerufen werden. Wenn wir diesem hirnanatomischen Modell folgen wollen, kann man kreative Akte und damit auch kreative musikalische Akte wie folgt erklären:
â    Es müssen musikalische Informationen vorliegen, die im Schläfenlappen gespeichert sind. Dies sind verschiedenste auditorische Informationen, Musiksequenzen, Rhythmen etc.
â    Diese Informationen müssen angemessen vom Stirnhirn kontrolliert werden, um dann sinnvoll abgerufen werden zu können. Zu viel hemmende Beeinflussung des Stirnhirns schränkt den ungehinderten Abruf ein (kreative Blockade). Bei zu wenig Kontrolle des Stirnhirns erfolgt der Abruf unkontrolliert und fehlerhaft.
â    Das limbische System und die angeschlossenen Hirngebiete versorgen das Stirnhirn und den Schläfenlappen mit der nötigen Energie, um die abgerufenen Informationen umzusetzen.
Aus diesen Ãberlegungen kann man leicht ableiten, wie komplex und feinsinnig diese drei Hirnsysteme ineinandergreifen müssen, um kreative Akte entfalten zu können (s. hierzu Abb. 56 ). Wichtig ist auch, dass kreative Handlungen offenbar Informationen brauchen, die im Schläfenlappen gespeichert sind. In gewisser Weise bedeutet das nicht anderes als, dass Kreativität ohne Wissen gar nicht möglich wäre. Das mag provokativ klingen, scheint aber in der Tat der Fall zu sein. Ein Musiker, der kreativ Musik spielt, muss Musikwissen aus dem Schläfenlappen abrufen können, ohne dass das Stirnhirn zu stark hemmend eingreift. Letztlich muss noch genügend Energie aus dem limbischen System vorhandensein, um das Abgerufene mit Nachdruck umzusetzen und zu motorischen Aktionen zu führen.
Abbildung 56: Schematische Darstellung des kreativen Gehirns. Im linken Teil des Bildes erkennt man die Verbindung zwischen dem Stirnhirn und dem Schläfenlappen. Diese Verbindung ist gegenseitig hemmend. Im rechten Teil des Bildes ist die Verbindung zwischen dem mesolimbischen dopaminergen System und dem oberen Teil des mittleren Stirnhirns zu erkennen. Das mesolimbische System besteht aus Hirngebieten im Hirnstamm und Hirngebieten in der Mitte des limbischen Systems. Diese Verbindung ist gegenseitig erregend.
Vielleicht könnte man aus dieser Erkenntnis sogar intelligente Trainingsprogramme für Musiker ableiten. Deren Ziel sollte die Steigerung der kreativen Leistungsfähigkeit und die Verminderung von zu viel Hemmung aus dem Stirnhirnbereich sein. Diese Trainingsprogramme müssten dann das Stirnhirn der Musiker derart beeinflussen, dass es nach dem Training optimal in den Produktionsprozess eingreift und damit eine optimale Erregungsbalance zwischen diesen drei Hirngebieten herstellen kann. Nicht wenige Musiker leiden unter erheblichen Ãngsten und Sorgen hinsichtlich ihrer Spielleistung. Sie sind teilweise derart gehemmt, dass sie nicht oder nur selten frei und locker ihren Spielfluss finden. Sie arbeiten krampfhaft und finden keine Möglichkeit, ihr enormes Wissen und Können unbeschwert zu präsentieren. Ich hatte schon einige solcher Musiker bei mir im Labor zu Besuch. Nicht wenige von ihnen litten auch unter fokalen Dystonien der Hände, was ihr Spiel erheblich einschränkte. Wir haben sehr häufig auch kernspintomographische Untersuchungen oder EEG-Messungen durchgeführt. Nicht selten konnten wir beim Vorspielen starke Aktivierungen insbesondere frontaler Hirnstrukturen feststellen, die darauf hinweisen, dass diese Hirngebiete wahrscheinlich viel zu starke hemmende Einflüsse auf die anderen für die Musikproduktion ebenfalls wichtigen Hirngebiete ausüben. Der Londoner Psychologe John Gruzelier hat mit seinem Mitarbeiter Thomas Egner bei Musikern eine neue Methode des Hirntrainings eingesetzt, um verschiedene musikalische Fertigkeiten zu verbessern (Egner und Gruzelier, 2003). Das Prinzip dieser Methode besteht darin, mittels Elektroden die elektrische Aktivität über dem Schädel der
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