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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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gleichen Pose wie mein geschätzter Biologielehrer und halte ein Gehirnmodell in der Hand, wobei auch ich meistens diesen Gummiklotz (echte Gehirne setzen wir in den Vorlesungen nicht ein) in die Höhe strecke, damit auch jeder Student dieses kleine Ding sieht. Noch heute ist diese Aussage von einiger Brisanz, denn irgendwie sind wir von diesem Organ fasziniert und abgestoßen zugleich; und das löst ja bekanntlich bei uns die größten Gefühle aus. Vielleicht ist es ja so wie am Anfang von Heinrich Manns fabelhaften Roman «Der Untertan», wo Heinrich Mann seine Hauptfigur Diederich Heßling und dessen Mutter als zwischen extremen Gefühlen hin- und herpendelnd beschreibt: «Die Mutter nährte ihn mit Märchen. Sie teilte ihm ihre Angst mit vor den neuen, belebten Straßen und der Pferdebahn, die hindurchfuhr, und führte ihn über den Wall nach der Burg. Dort genossen sie das wohlige Grausen.» 56 Wir sind vondiesem Gehirn mit seiner unvergleichlichen Bedeutung für unser Denken und Handeln fasziniert, und gleichzeitig schreckt uns genau dies ab, denn unser Denken und Handeln kann doch nicht lediglich durch einen 1,2 bis 1,4 Kilogramm schweren Fleischklumpen bestimmt werden? Das gleiche Unbehagen hatte auch schon der griechische Philosoph Aristoteles. Für ihn war das Gehirn nicht mehr als ein Kühlaggregat für das vom Blutkreislauf erhitzte Blut. Das Herz war für Aristoteles das zentrale Organ des Menschen. Diese Ansicht blieb lange Zeit sehr einflussreich und hat in unserer Alltagssprache nicht zu übersehende Spuren hinterlassen, nehmen wir uns doch Dinge «zu Herzen» und nicht «zu Hirne».
    Mit den neuen bildgebenden Verfahren eröffnen sich interessante und völlig neue Zugänge zum menschlichen Gehirn. Wir können heute das Gehirn eines lebenden Menschen präzise vermessen (s. Abb. 57 ). Spannend ist auch, dass wir heute die Gehirne verschiedener Personengruppen miteinander vergleichen können. In diesem Sinne können wir uns wirklich die Frage stellen, ob z.B. die Gehirne von Musikern anders sind als die von Nichtmusikern. Eine weitere und für die zukünftige Forschung außerordentlich wichtige Möglichkeit ist das wiederholte Vermessen der menschlichen Gehirne. Diese Längsschnittmessungen sind gerade für Lern- und Entwicklungsstudien von unschätzbarem Wert. Hiermit kann man überprüfen, ob bei einem Individuum oder einer Gruppe von Menschen, die ein bestimmtes Training genießen (z.B. gerade eine Sprache oder ein Instrument spielen lernen) markante anatomische Veränderungen festzustellen sind. Von diesen Themen und Inhalten wird in diesem Kapitel die Rede sein.

    Abbildung 57: Magnetresonanztomographie-Aufnahmen des menschlichen Gehirns.
    10.1
    Wiederholen ist die Mutter des Lernens
    10.1.1
    Wolfgang Amadeus Mozart
    Mozart war ein Genie. Darin sind sich alle einig, glaubt man den vielen Feuilletonbeiträgen in den großen und kleinen Zeitungen, den Magazinbeiträgen, den Sondersendungen im Radio- und im Fernsehen, den Kommentaren der Plattenfirmen und den Beiträgen vieler Musikwissenschaftler. So verwundert es nicht, dass wahrscheinlich jeder Mozart in eine Reihe mit Einstein, Goethe und Michelangelo stellt. Für viele gilt Mozart gar als der Prototyp eines Genies, vor allem deshalb, weil viele Zeitgenossen und insbesondere sein Vater so früh auf seine Talente aufmerksam wurden – Wolfgang war erst vier oder fünf Jahre alt, als er schon durch bemerkenswerte musikalische Leistung auffiel. Der berühmte Dirigent Nikolaus Harnoncourt bringt diese allseitige Ein- und Wertschätzung auf den Punkt: «Mozart ist fertig vom Himmel gefallen und uns von den Göttern geschenkt worden.» Diese umfassende Übereinstimmung versperrt den Blick auf viele Ungereimtheiten, wie die Frage, was überhaupt ein Genie ist und welche Eigenschaften ein Genie typischerweise ausmachen? Gibt es überhaupt Genies? Sofern es eine Definition für Genialität gibt, erfüllt Wolfgang Amadeus Mozart diese Definition überhaupt? Waren seine Leistungen genial oder wurden sie erst posthum zu genialen Leistungen erklärt? Wie sind seine musikalischen Leistungen wirklich entstanden? Stimmt all das, was über seine außerordentlichen Leistungen berichtet wird, wirklich mit der Realität überein? Was ist Fiktion, was ist Wunschdenken und – viel wichtiger –, welche Rolle spielte in

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