Macht Musik schlau?
unreflektiert kommentiert wurde. Die Kommentare reichten von uneingeschränkter Zustimmung und Konstatierung eines neuen didaktischen Konzepts bis zur völligen Ablehnung. In der wissenschaftlichen Literatur wurde, vielleicht wegen der medialen Präsenz, diese Diskussion vielleicht etwas abgeschwächter aber für wissenschaftliche Diskussionen recht kontrovers und angriffslustig geführt. Bei manchen Untersuchungen konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beteiligten Forscher angetreten sind, um den Mozart-Effekt ad absurdum zu führen. Insofern drängt sich der Eindruck auf, dass nicht alle Replikationsversuche fair gestaltet waren. Wieauch immer, die Arbeitsgruppe um Glenn Schellenberg hat sich bei der Untersuchung des Mozart-Effektes besonders verdient gemacht. Diese Arbeitsgruppe hat mit ordentlichen Versuchsdesigns die Modulatoren und Randbedingungen des Mozart-Effektes herausgearbeitet. Insgesamt haben sie zeigen können, dass in den Originaluntersuchungen von Rauscher und Kollegen inadäquate Kontrollbedingungen bzw. Kontrollgruppen verwendet wurden. Insbesondere die Verwendung einer Ruhebedingung bzw. einer Ruhegruppe führt zu einer Ãberschätzung der Musikwirkung. Zusammengefasst kann demzufolge Folgendes festgehalten werden (Schumacher, 2006):
1.   Ein spezifischer Effekt des kurzzeitigen Hörens von Mozart-Musik und insbesondere des Hörens der besagten Mozart-Sonate auf räumliche Fertigkeiten kann nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.
2.   Sofern Effekte vorliegen, treten sie immer in Bezug zu Ruhe- und Entspannungsbedingungen auf.
3.   Diese fördernden Effekte beschränken sich nicht nur auf das Hören von Mozart-Musik, sondern ergeben sich auch für das Hören anderer akustischer Ereignisse (z.B. Textpassagen einer Diskussion), sofern sie als angenehm und einigermaÃen erregend bzw. anregend empfunden werden.
4.   Als relativ stabil erweist sich die Wirkung der durch das Hören der akustischen Ereignisse hervorgerufenen Stimmung und subjektiv empfundenen Erregung auf die zu erbringende Leistung für die räumlichen Aufgaben.
5.   Auch das den ursprünglichen Untersuchungen zugrunde liegende Konzept des Trionen-Modells von Hirnaktivierung konnte bislang neurophysiologisch und neuropsychologisch nicht belegt werden.
6.   Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei einigen Versuchspersonen nach dem Hören der Mozart-Musik ein Hirnaktivierungsmuster einstellt, welches eine optimale Grundlage für die später zu bearbeitenden räumlichen Aufgaben bietet.
3 Längsschnittstudien
3.1
Allgemeines
Die in Kapitel 2 beschriebenen kurzzeitigen Wirkungen von Mozart- und anderer Musik auf kognitive Leistungen (hier räumlich-zeitliche Analysen) sind von groÃem Interesse, haben aber gezeigt, welche methodischen Schwierigkeiten mit der Interpretation der Befunde verbunden sind. Um herauszuarbeiten, ob eine formale (also eine theoretische und praktische) Musikausbildung oder längerfristige Musikstimulation nachhaltige Transfereffekte (z.B. bessere Schulleistungen in Nicht-Musikfächern wie Mathematik oder Sprachen) auslösen können, muss man einen anderen Versuchsansatz wählen. Der am besten geeignete Versuchsansatz ist die so genannte Längsschnittuntersuchung, in der die gleichen Versuchspersonen über einen längeren Zeitraum untersucht werden. Um z.B. zu überprüfen, ob Musikunterricht in Theorie und Praxis einen Einfluss auf andere Schulleistungen hat, müsste man mindestens zwei Versuchsgruppen definieren, die hinsichtlich wichtiger Kennwerte mehr oder weniger identisch sind. Typische Kennwerte für solche Experimente sind intellektuelle Leistungen (z.B. die Grundintelligenz), aber auch Kennwerte wie eigenes Einkommen, Einkommen der Eltern, Bildungsgrad, soziale Schicht, Geschlecht und vieles mehr. Wir fassen diese Variablen oft unter dem Fachbegriff «sozioökonomischer Status» zusammen. Eine Versuchsgruppe (Experimentalgruppe) würde über einen bestimmten Zeitraum Musikunterricht erhalten, die andere nicht (Kontrollgruppe). Dieses einfach erscheinende Versuchsdesign würde allerdings nur dann aussagekräftige Befunde zutage fördern, wenn die Versuchspersonen (hier Schulkinder) per Zufall auf eine der beiden Versuchsgruppen verteilt würden. Des Weiteren muss sichergestellt werden, dass der
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