Macht Musik schlau?
memorierten Wörter im letzten Lerndurchgang) à 100). Diese Kennwerte sind auf der Ordinate dargestellt (nach Ho et al., 2003).
Diese Befunde sind in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Offenbar scheint das verbale Gedächtnis durch das Orchestertraining günstig beeinflusst zu werden. Interessant ist dabei, dass die Anfänger die jüngsten Kinder mit dem geringsten Bildungsgrad waren. Genau diese Gruppe hatte aber besonders von dem Musikunterricht im Hinblick auf das verbale Gedächtnis profitiert. Die Fortsetzer verbesserten ihre verbalen Gedächtnisleistungen nach dem Orchestertraining noch um etwa 10 %. Möglicherweise kommt hier zum Ausdruck, dass nur junge Kinder mit einem geringeren Bildungsgrad besonders gut profitieren. Möglich ist auch, dass nach einer anfänglich beträchtlichen Verbesserung im Hinblick auf das verbale Lernen so etwas wie ein Plateau erreicht wird, über das hinaus keine weitere nennenswerte Gedächtnissteigerung mehrerreicht werden kann. Im Hinblick auf das visuelle Gedächtnis kann man feststellen, dass alle Kinder ihre Gedächtnisleistungen mehr oder weniger gleich stark verbesserten. Dies mag daran liegen, dass visuelle Gedächtnisleistungen insbesondere durch die modernen Medien (Fernsehen und Computer) quasi nebenbei trainiert werden.
Abbildung 13: Prozentuale Veränderungen der verbalen Gedächtnisleistungen für die drei Versuchsgruppen (Anfänger, Fortgeschrittene und Abbrecher) im Versuch von Ho et al. (2003). Hier sind die prozentualen Veränderungen der Gedächtnisleistungen für den verzögerten Abruf 10 und 30 Minuten nach dem Ende des letzten Lerndurchganges dargestellt.
Kritisch einzuwenden ist, dass nicht eindeutig nachzuvollziehen ist, ob der Gedächtnissteigerungseffekt alleine auf das Musiktraining zurückzuführen ist. Möglich ist auch, dass die Kinder durch das zusätzliche Orchestertraining gelernt haben, sich zu konzentrieren und zu disziplinieren. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Kinder Spaà und Freude an diesem Orchestertraining hatten und diese Freude, die sie quasi umsonst von der Schule gespendet bekamen, auf den gesamten Unterricht übertragen haben. Auch die Einstellung der Kinder mag sich grundsätzlich geändert haben, da sie durch das Orchestertraining Selbstvertrauen in ihre eigene Leistungskraft gewonnen haben, welche sie nun gewinnbringend für andere schulische Tätigkeiten einsetzen können.
3.2.2
Die Schellenberg-Studie
Die wahrscheinlich bislang beste empirische Längsschnittstudie wurde kürzlich von dem Kanadier Glenn Schellenberg publiziert (Schellenberg, 2004). Schellenberg hat versucht, wesentliche Mängel vorheriger Studien zu vermeiden und insgesamt 144 Kinder untersucht, die per Zufall auf vier Versuchsgruppen aufgeteilt wurden. Zwei Versuchsgruppen (je 36 Kinder) erhielten ein Jahr lang entweder Klavier- oder Gesangsunterricht (nach der Kodály-Methode), eine Versuchsgruppe nahm ein Jahr lang an einem Schauspielunterricht teil, während die vierte Versuchsgruppe keinen zusätzlichen Unterricht erhielt.
Die Versuchspersonen wurden über die lokale Presse angeworben, wobei darauf hingewiesen wurde, dass die Kinder gegebenenfalls an einem kostenlosen wöchentlichen Musikunterricht teilnehmen können. Voraussetzung war, dass die Kinder sechs Jahre alt waren, ein Klavier mit mindestens vier Oktaven besitzen sollten und dass sie an dem Versuch teilnehmen würden, unabhängig davon, welcher Versuchsgruppe sie per Zufall zugewiesen werden würden. Der letzte Aspekt ist bemerkenswert und verlangt in gewisser Weise von den Eltern und den teilnehmenden Kindern eine besondere Einstellung zu diesem Experiment. Denn wenn die Eltern und Kinder sich für dieses Experiment in der Hoffnung gemeldet hatten, kostenlosen Musikunterricht zu erhalten und dann auf die Schauspielunterrichtgruppe oder die Gruppe, die keinen Unterricht erhalten würde, verteilt würden, kann durchaus Enttäuschung entstehen, was sich auf die weitere kognitive Entwicklung negativ auswirken könnte. Allerdings wurde den Kindern, welche zunächst keinen zusätzlichen Unterricht erhielten, im darauf folgenden Jahr Klavier- oder Gesangsunterricht erteilt. Zwölf der in die Studie aufgenommenen Kinder haben die Untersuchung abgebrochen. Alle Kinder haben vor und nach dem Jahr, in dem die drei Gruppen ihr jeweiliges Training erhalten haben, einen
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