Macht Musik schlau?
Interpretationsmöglichkeiten, die ich an dieser Stelle nicht ausbreiten will. Kann man aus diesen Befunden ableiten, dass zusätzlicher Musikunterricht wirklich die Intelligenz fördert? Ich meine: auf keinen Fall! Im Gegenteil: Man könnte aus den vorliegenden Befunden sogar ableiten, dass zusätzlicher Musikunterricht einen negativen Einfluss auf die Gesamtintelligenz haben kann, wenn man sich auf den IQ-Kennwert des AID konzentriert. 11 Solche Schlagzeilen habe ich aber nie gelesen, immer nur die andere Variante.
Betrachtet man die weiteren Befunde, wird man den Verdacht nicht los, dass die gesamte Studie durch zu viele Störvariablen negativ beeinflusstwurde. So nahm z.B. die in dieser Studie gemessene Konzentrationsleistung in einigen Konzentrationstests (z.B. im CFT) in beiden Versuchsgruppen ab. Bei einem anderen Konzentrationstest, dem d2-Strich-Test, war die Gruppe mit Musikunterricht leicht besser, was nicht an einer grundsätzlich besseren Leistung liegen muss, sondern auch auf die Verteilung der Konzentrationswerte in der Gruppe der Kinder mit Musikunterricht zurückzuführen sein kann. Sie sind insgesamt etwas homogener in ihren Konzentrationsleistungen als die Kinder ohne Musikunterricht. Grundsätzlich sind diese Befunde erstaunlich, denn man hätte eigentlich deutlichere Verbesserungen der Konzentration für alle Kinder erwartet, denn nach allem, was wir in unseren eigenen Untersuchungen festgestellt haben, scheint gerade die Fähigkeit zum effizienten Einsatz der Aufmerksamkeit besonders günstig durch Musiktraining beeinflusst zu werden.
Neben diesen kognitiven 12 LeistungsmaÃen wurden auch noch andere Variablen erhoben, mit denen die sozialen Fertigkeiten, Persönlichkeitseigenschaften oder emotionale Prozesse gemessen werden sollten. Ich will auf die Einzelbefunde nicht näher eingehen, weil keiner der Einzelbefunde ein konsistentes, überzeugendes Bild zeichnet. Einen Teilbefund erlaube ich mir allerdings herauszugreifen, nämlich jenen bezüglich der
sozialen Kompetenz
, denn sie soll der Aussage von Hans Günther Bastian zufolge durch das zusätzliche Musiktraining günstig beeinflusst werden. Bastian und Kollegen betonen sogar in ihrer Interpretation der Befunde, dass «die Ergebnisse zur sozialen Kompetenz zum Teil sensationell» seien. Zur Messung der sozialen Kompetenz und der damit zusammenhängenden Aspekte haben die Autoren eine Serie von psychologischen Tests verwendet. Ein wichtiges verwendetes Instrument ist das Soziogramm. Anhand der positiven und/oder negativen Bewertungen kann man messen, ob die Schüler andere Schüler akzeptieren. Mit anderen Tests wurde die Fähigkeit des Erfassens und Reflektierens von sozialen Problemen (gemessen mit dem Subtest 11 des AID), der Grad der sozialen und emotionalen Integration (gemessen mit dem FDI), die Neigung zur Aggression und Opposition (gemessen mit dem PFK-MO1), die Bereitschaft zum sozialen Verhalten, unangepasstesSozialverhalten, das Sozialverhalten im Lehrerurteil und das soziale Engagement erfasst.
Insgesamt sind die Unterschiede für diese Variablengruppe uneinheitlich, und die Gruppenunterschiede werden häufig auch überhaupt nicht signifikant. Gelegentlich sind auch kuriose Effekte vorhanden, die entgegen den Erwartungen und den in der Presse vermittelten Eindrücken ausfallen. So z.B. die Variable «Anzahl von Kindern mit einer oder mehr positiven Nennungen», mit der die Anzahl der Kinder objektiviert wurde, die etwas Positives über ihre Mitschüler auszusagen hatten. Beide Versuchsgruppen beginnen mit den gleichen Werten. Ein Jahr später nimmt die Anzahl der Kinder mit positiven Nennungen in der Kontrollgruppe ab (der Unterschied ist eigentlich klein aber immerhin knapp statistisch signifikant). Ab dem dritten Jahr nimmt die Anzahl der positiven Nennungen für die Kinder mit zusätzlichem Musikunterricht konsistent ab. Beim letzten Messtermin unterscheiden sich die Kinder beider Gruppen nicht mehr voneinander. Um das noch einmal klar und deutlich festzuhalten: Die Kinder mit zusätzlichem Musikunterricht beurteilen die anderen immer weniger positiv. HeiÃt das, dass sie durch den Musikunterricht ihre Mitschüler weniger mögen? Sind sie arroganter geworden, vielleicht weil sie sich als etwas Besseres betrachten? Oder ist es vielmehr so, dass die anderen, die keinen Musikunterricht genossen hatten, die «Musikschüler» zunehmend
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