Macht Musik schlau?
Bruchrechnungen, wo Brüche addiert oder subtrahiert werden mussten. Sieben der 15 Versuchspersonen waren Musiker, die ihr Musiktraining mindestens im Alter von acht Jahren begonnen hatten und auch noch im Erwachsenenalter musizierten. Alle Versuchspersonen zeigten im Vergleich zur Kontrollbedingung typische Aktivierungsmuster, die immer beim Lösenvon mathematischen Aufgaben zu finden sind (Scheitellappen und Stirnhirn). Besonders interessant war allerdings, dass bei Musikern der untere Bereich des Stirnhirns und ein Bereich im unteren Hinterhauptlappen (Gyrus fusiformis) besonders stark aktiviert waren. Bei Nichtmusikern waren im Gegenzug besonders starke Aktivierungen im unteren Teil des Scheitellappens (Lobulus parietalis inferior), in weiten Teilen des Hinterhauptlappens (Occipitallappen) und im Orbitofrontalkortex festzustellen. Die Autoren bringen die stärkeren Aktivierungen im Gyrus fusiformis bei Musikern mit einer besseren Verarbeitung von Formen in Verbindung. Sie spekulieren, dass Musiker durch ihr intensives Musiktraining gelernt hätten, besser mit Notenzeichen umzugehen, was sie auch dazu befähigen sollte, Zahlen besser zu erkennen. Diese Interpretation ist nicht ohne Charme, aber es muss erst noch belegt werden, dass stärkere Aktivierungen im Gyrus fusiformis auch wirklich mit einem besseren Erkennen von Zahlen verbunden sind. Interessanter ist meines Erachtens vor allem die bei Musikern stärkere Aktivierung im unteren Teil des Stirnhirns (Gyrus frontalis inferior). Dieses Hirngebiet wird immer dann besonders stark aktiv, wenn das Arbeitsgedächtnis genutzt wird. Das «Wesen» des Arbeitsgedächtnisses besteht darin, dass Informationen im Gedächtnis gehalten werden, während mit ihnen gleichzeitig operiert wird. Anhand der stärkeren Aktivierung könnte man nun vermuten, dass Musiker beim Lösen der Bruchrechnungen stärker von solchen Arbeitsgedächtnisfunktionen Gebrauch machen. Ob dieses Aktivierungsmuster Ausdruck eines effizienteren Umgangs mit Zahlen und Bruchrechnen ist, bleibt abzuwarten. Allerdings belegen diese Befunde, dass Musiker und Nichtmusiker beim Lösen von Bruchrechenaufgaben andere neuronale Netzwerke nutzen. Dies ist für sich genommen durchaus interessant, denn warum sollen Musiker für die Kontrolle einer Funktion, die oberflächlich betrachtet eigentlich nichts mit dem Musizieren zu tun hat, andere neuronale Netzwerke nutzen? Die einzig mögliche Erklärung dafür ist, dass sich bei Musikern das Gehirn durch das Musiktraining neuroanatomisch und neurophysiologisch spezifisch verändert hat und sich dies auch auf die Kontrolle anderer Funktionen auswirkt.
4.5
Spielen vom Notenblatt
Notenlesen (engl.:
sight-reading
) ist in gewisser Hinsicht dem Lesen von Schriftsprache sehr ähnlich. Im Grunde werden visuelle Zeichen übersetzt. Wenn wir lesen, werden die Schriftzeichen in Sprachlaute umgesetzt. Beim Notenlesen werden die Noten (auch Schriftzeichen) in motorische Aktionen umgewandelt, um ein Musikinstrument zu betätigen. Stellen Sie sich einmal einen Pianisten vor, der ein mehr oder weniger schwieriges Musikstück vom Blatt spielen muss. Um eine wohlklingende Melodie zu erzeugen, muss er die Tasten in recht hoher Geschwindigkeit bedienen. Die motorischen Aktionen sind dann so schnell, dass der Musiker mit einem Blick mehrere Noten quasi gebündelt wahrnehmen muss, um sie dann seinem Musikwissen entsprechend zu einer sinnvollen und wohlklingenden Sequenz von Klavieranschlägen zusammenzusetzen. Bei diesem Prozess kommen noch emotionale Prozesse zur Entfaltung, die je nach emotionaler Lage des Pianisten emotional gefärbte Klavieranschläge entstehen lassen. Berücksichtigt man all diese kognitiven Prozesse, dann wird es einem einsichtig, dass es unmöglich ist, vernünftig zu musizieren, wenn man nur Note für Note spielt. Insofern benötigen Musiker eine Strategie, um vorausschauend mehrere Noten für die Sequenzen wahrzunehmen, die sie demnächst spielen werden. Man kann diesen komplizierten Prozess des Musizierens sehr gut mit einer Augenbewegungskamera analysieren, die man den Pianisten während des Klavierspielens aufsetzt. Mit dieser Kamera kann man genau registrieren, wohin der Klavierspieler schaut, während er spielt. Mit dieser technischen Ausstattung kann man zwei wichtige Kennwerte messen: die
perzeptuelle Spanne
und die
Auge-Hand-Spanne
. Die
perzeptuelle Spanne
ist ein
Weitere Kostenlose Bücher