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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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Kennwert, der typischerweise in der Leseforschung untersucht und genutzt worden ist. Sie wird als der Bereich definiert, dessen Abdeckung beim Lesen zu einer Lesebeeinträchtigung führt. Im Grunde ist dies der Bereich um einen fokussierten Buchstaben, den man gerade noch erkennt. Er beginnt etwa drei Buchstaben links neben dem fixierten Buchstaben und endet 12 bis 15 Buchstaben rechts daneben. Die Spannenweite hängt sehr stark von der Übung ab und nimmt mit der Übung zu. Man kann sich diese Spanne ungefähr wie ein über den Text «gleitendes Fenster» vorstellen. Nehmen wir einmal an, Sie lesen gerade das Wort «Schlauberger» und fixieren den Buchstaben /l/ vor dem /a/. Dann erstreckt sich Ihre
perzeptuelle Spanne
vom /l/ mindestensbis zum Wortanfang und nach rechts bis über das Wortende hinaus. Das bedeutet, dass Sie selbst beim Fixieren eines Buchstabens auch die Nachbarbuchstaben erfassen. Interessant ist im Übrigen, dass bei Personen, die perfekt Hebräisch können, die
perzeptuelle Spanne
nach links verschoben ist. Das bedeutet, dass sich ihre
perzeptuelle Spanne
vom fixierten Buchstaben 12 bis 15 Buchstaben nach links und zirka drei Buchstaben nach rechts ausdehnt. Der Grund dafür ist, dass Hebräisch von rechts nach links gelesen wird.
    Beim Lesen ist wie angedeutet auch die
Auge-Hand-Spanne
von enormer Bedeutung. Sie ist insbesondere im Zusammenhang mit dem Maschineschreiben vom Blatt sehr intensiv untersucht worden. Im Grunde genommen ist es die Distanz zwischen dem fixierten und dem auf der Maschine angeschlagenen Buchstaben. Die Auge-Hand-Spanne beträgt beim Maschineschreiben vier bis acht Buchstaben. Das bedeutet, dass während des Niederdrückens einer Taste, mit der ein bestimmter Buchstabe geschrieben wird, schon vier bis acht Buchstaben voraus gelesen werden (wir nennen das in der Fachsprache «fixiert»). Neben der Auge-Hand-Spanne gibt es auch eine
Auge-Sprech-Spanne
beim Lesen. Sie ist mit 12 bis 24 Buchstaben erheblich länger als die Auge-Hand-Spanne. Gerade die Auge-Hand-Spanne hängt sehr stark von der Übung ab. Geübte Schreiber können teilweise erheblich vergrößerte Auge-Hand-Spannen aufweisen, während schlechte Schreiber oder Anfänger sehr geringe Auge-Hand-Spannen zeigen. Die Auge-Hand-Spanne ist ein sehr interessanter Kennwert, der uns etwas über die Anzahl der aufgenommenen Informationen mitteilt, die zum motorischen System weitergeleitet werden. Je mehr Informationen man vor der Bewegung (also dem Tastendruck) wahrnimmt, desto mehr Informationen müssen gleichzeitig in das motorische System überführt werden. Man kann sich dies ziemlich einfach veranschaulichen. Nehmen wie einmal an, Sie würden einen Text vom Blatt lesen, den Sie gleichzeitig mit der Schreibmaschine oder dem PC schreiben wollen. Vielleicht erscheint Ihnen das einigermaßen ungewöhnlich, weil Sie so nicht schreiben würden. Aber bitte bedenken Sie, dass es Sekretärinnen gab und teilweise immer noch gibt, die ähnlich wie Pianisten vom Blatt abschrieben, wobei sie auf das Blatt schauten und dabei simultan auf der Tastatur schrieben. Geübte Sekretärinnen konnten sich sogar während des Schreibens unterhalten, ohne dass sie Fehler machten. Dies gelingt allerdings nur, wenn sie den Text semantisch überhaupt nicht verstehen. Vielleicht kann man sich das so vorstellen, dass die Buchstabeninformationen direkt zu denMotorarealen geleitet werden, ohne dass andere Hirngebiete eingebunden werden. Ich muss gestehen, dass ich das überhaupt nicht kann, aber es war in der Tat eine typische Fertigkeit von gut ausgebildeten Sekretärinnen. Sobald sich die Sekretärinnen nicht auf die Buchstaben, sondern auf Wörter konzentrieren, springt der Blick immer von Wort zu Wort und nicht mehr zu den einzelnen Buchstaben. Offenbar werden dann Bedeutungseinheiten erkannt, abgespeichert und wieder in einzelne motorische Aktionen zurückgewandelt. Dann wird übrigens die Schreibgeschwindigkeit erheblich schneller.
    Wie verhält es sich nun mit der
perzeptuellen Spanne
und die
Auge-Hand-Spanne
beim Spielen vom Blatt? Existieren bezüglich dieser Kennwerte Unterschiede zwischen Musikern und Nichtmusikern? Die
perzeptuelle Spanne
beim Notenlesen ist bemerkenswerterweise bei Musikern und Nichtmusikern recht ähnlich und beträgt zwei bis vier Noten. Damit ist sie erheblich geringer als die perzeptuelle Spanne beim Lesen.

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