Macht Musik schlau?
eines Tages spielte ich Mozart andersherum! Mein Spiel verbesserte sich schlagartig und erschien mir angenehm natürlich.» Da die meisten Klavierstücke das Hauptgewicht auf die rechte Hand legen, hatte Chris Seed lange vermieden, z.B. Mozart und Chopin zu spielen, da diese Komponisten besonders die rechtsseitig gelegenen Tasten betonen. Jetzt, da er ein «umgekehrtes» Klavier hat, kann er auch diese Komponisten spielen. Viel wichtiger ist für ihn allerdings, dass er jetzt mehr Gewicht auf seine geschicktere linke Hand platzieren kann. Er gibt auch an, die Melodien jetzt mit gröÃerem Einfühlungsvermögen interpretieren zu können, als dies bislang der Fall war. Mittlerweile empfiehlt er insbesondereLinkshändern, mit einem solchen Piano zu beginnen. Allerdings werden dann die meisten so trainierten Linkshänder Schwierigkeiten haben, wieder umzulernen. Denn wie bereits erwähnt, wird sich das motorische System der linkshändigen Klavierspieler nach intensivem und langem Training mit einer «umgedrehten» Tastatur kaum noch an ein «normales» Piano gewöhnen können. Trotzdem ist diese Idee durchaus interessant, denn es ist davon auszugehen, dass die meisten linkshändigen Musiker ihre natürliche Seite unterdrückt haben könnten, da Linkshändigkeit als unschicklich galt.
Mittlerweile hat Chris Seed sich ein «umgekehrtes» Piano von sehr renommierten Klavierbauern bauen lassen (Poletti und Tuinman, Fortepiano Makers of Holland). Dieses Klavier ist praktisch ein spiegelbildlicher Nachbau eines Pianofortes oder Hammerklaviers von 1826 ( http://www.lefthandedpiano.co.uk/ ). Im Sommer 1998 wurde es nach einer Bauzeit von rund zwölf Monaten fertiggestellt. Der Preis â rund 35 000 Euro â ist zwar absolut gesehen hoch, aber auch für exzellente Rechtshänderklaviere durchaus üblich. Interessant ist, dass sich dieses Klavier aufgrund seines relativ geringen Gewichtes gut transportieren lässt. Mittlerweile tritt Chris Seed mit diesem Klavier weltweit auf und hat bemerkenswerten Erfolg. Viel wichtiger ist wohl, dass Chris Seed jetzt offenbar mehr Spaà am Spielen seines Instrumentes hat und darüber hinaus auch der Ãberzeugung ist, dass er jetzt viel akzentuierter spielt.
Wir hatten die Gelegenheit, Chris Seed in unserem Züricher Labor zu untersuchen, und mussten zu unserem Erstaunen feststellen, dass er in der Lage war, quasi sofort von der «normalen» zur «umgekehrten» Tastatur zu wechseln. Dies konnten wir mit einem elektronischen Klavier überprüfen, bei dem wir per Knopfdruck die Tonzuordnung auf der Tastatur von «normal» zu «umgekehrt» wechseln konnten. Wir haben Chris Seed auch verschiedene Musikstücke jeweils auf der «normalen» oder der «umgekehrten» Tastatur spielen lassen. Diese Musikstücke haben wir dann auf einem digitalen Tonband gespeichert und ihm später erneut vorgespielt. Er konnte perfekt zwischen den Aufnahmen unterscheiden, die er mit der «normalen» oder der «umgekehrten» Tastatur gespielt hatte (Jäncke et al., 2006).
4.7
Musikwahrnehmung
Bevor wir uns dem interessanten Aspekt der Musikwahrnehmung und den diesbezüglichen Unterschieden zwischen Musikern und Nichtmusikern zuwenden, müssen wir zunächst den Begriff der Wahrnehmung definieren, so wie er in der Psychologie und Physiologie verstanden wird. Wir verstehen unter Wahrnehmung die Summe der Schritte Aufnahme, Interpretation, Auswahl und Organisation von sensorischen Informationen â und zwar nur jener Informationen, die zum Zwecke der Anpassung des Wahrnehmenden an die Umwelt oder deren Veränderung aufgenommen werden. Trotz noch offener Fragen haben wir im Verständnis des Musikwahrnehmungsprozesses einige Fortschritte gemacht und bestimmte Wahrnehmungsmodule herausarbeiten können, die für die Musikwahrnehmung von besonderer Bedeutung sind. Abbildung 32 zeigt schematisch die wesentlichen Anteile der Musikwahrnehmung.
Abbildung 32: Schematische Darstellung der an der Wahrnehmung von Musik beteiligten Prozesse.
Dass Musiker im Hinblick auf die Wahrnehmung musikalischer Reize eine geschulte und damit bessere Wahrnehmungsleistung haben, mag nicht verwundern. Musiker müssen das, was sie mit ihrem Instrument erzeugen, auch auditorisch (also mit ihrem Hörsinn) erkennen und analysieren. Dies kann man sich leicht vorstellen, wenn man sich in die Situation eines
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