Macht Musik schlau?
konzertierenden Musikers hineinversetzt. Dieser muss sich nicht nur selbst kontrollieren, sondern auch auf die Musik seiner Orchesterkollegen achten. Anhand dieser Musikreize muss der Musizierende seine eigenen musikalischen ÃuÃerungen anpassen und die wichtigen Signale des Dirigenten (sofern vorhanden) erkennen, um die entsprechenden Einsätze nicht zu verpassen. Diese kurzen Ausführungen machen deutlich, dass die Musikwahrnehmung auch im Kontext des Musizierens zu sehen ist. Beim Musizieren werden je nach Art des Musizierens unterschiedliche Funktionen wirksam. Spielt man alleine, muss man sich auf seine eigene Hörwahrnehmung verlassen und das selbst Gespielte entsprechend anpassen. Spielt man nach Noten ab Blatt, muss man simultan Lesen, Spielen, Hören und sich kontrollieren. Beim Musizieren innerhalb eines Orchesters kommen neben den sozialen Aspekten (Eingliederung, Anpassung und Sozialisation mit der Gruppe) noch spezifische auditive Wahrnehmungsleistungen hinzu. Der Musiker muss die Musizierweise der anderen Musiker mehr oder weniger präzise erkennen.
Musiker weisen im Vergleich zu Nichtmusikern auf allen Verarbeitungsebenen der Musikwahrnehmung Vorteile auf. Auf den verschiedenen Wahrnehmungsebenen werden Tonhöhe, Klangfarbe, Länge, Harmonie und Takt analysiert. Die jeweiligen Teilprozesse laufen bei Musikern in der Regel effizienter (besser und schneller) als bei Nichtmusikern ab. Nicht nur die messbare Wahrnehmungsleistung, sondern auch die den jeweiligen Wahrnehmungsprozessen zugrunde liegenden neurophysiologischen Grundlagen unterscheiden sich sehr deutlich zwischen Musikern und Nichtmusikern. Im Folgenden soll auf einige wesentliche Unterschiede etwas detaillierter Bezug genommen werden.
4.7.1
Tonhöhe, Klangfarbe und Tondauer
Eine gebräuchliche Methode, um die grundlegende Fähigkeit bzw. Sensibilität zur Tonhöhenunterscheidung zu messen, besteht darin, den gerade noch wahrnehmbaren Frequenzunterschied zwischen zweiTönen (im Englischen als JND bezeichnet:
just noticeable difference
), der von den Testpersonen noch erkannt wird, zu messen. Dieser gerade noch wahrnehmbare Unterschied wird auch als Wahrnehmungsschwelle für Tonhöhen bezeichnet. Um diese «Schwelle» zu verstehen, muss man sich zunächst der Ton- bzw. Klangphysik zuwenden. Man unterscheidet einfache von komplexen Tönen. Die komplexen Töne werden auch als Klänge bezeichnet, da sie anders als die einfachen Töne aus mehreren Frequenzkomponenten aufgebaut sind. Sie bestehen aus einem Grundton und (sofern es sich um harmonische komplexe Klänge handelt) aus einigen Obertönen. Die musikalische Tonhöhe von harmonisch komplexen Tönen kann vom Hörer durch Analyse des Grundtons eines Klanges (die Periodizitätstonhöhe) erkannt werden, während andere Hörer eher auf die Zusammensetzung der Obertöne achten. Kehren wir nun zur Tonhöhenwahrnehmung bzw. zur Tonhöhenunterscheidung zurück. Zur Charakterisierung der Tonhöhenunterscheidungsfähigkeit werden in der Psychophysik die oben bereits erwähnten Tonhöhenwahrnehmungsschwellen berechnet. Hierzu präsentiert man den Versuchspersonen in kurzen Abständen zwei Töne (oder Klänge) unterschiedlicher Tonhöhe, wobei die Unterschiede sehr klein sind, und fordert die Versuchspersonen auf anzugeben, ob sie einen Unterschied erkennen oder nicht. Die Frequenz des einen Tons (Standardton) bleibt gleich, während der andere sich mehr oder weniger gut vom Standardton unterscheidet (Vergleichston). Es werden viele Vergleichstöne hergestellt, die sich unterschiedlich stark vom Standardton unterscheiden. Konkret bedeutet dies, dass sich Grundtonfrequenzen der dargebotenen Töne (oder Klänge) nur sehr wenig unterscheiden (je nach Grundtonfrequenz der zur unterscheidenden Töne sind dies 0,5â5 Hz). Durch die wiederholte Präsentation von solchen Ton- bzw. Klangpaaren, die kleine, gerade noch wahrnehmbare oder auch nicht mehr wahrnehmbare Frequenzunterschiede aufweisen, kann man die Schwelle bestimmen, ab der ein Unterschied zwischen den Tönen und den Grundtonfrequenzen wahrgenommen wird. Diese Schwelle unterscheidet sich nach neueren Untersuchungen bei Musikern und Nichtmusikern erheblich und kann bei Nichtmusikern bis zu sechsmal höher als bei Musikern sein.
Profimusiker können Frequenzunterschiede von 0,15 % entdecken. Das bedeutet, dass sie bei Verwendung eines
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