Macht Musik schlau?
des Schädels zu messen ist und eine negative Polarität aufweist, hat es die Bezeichnung
Early Right Anterior Negativity
(ERAN) erhalten. Dieses Potenzial ist auf die neurophysiologische Aktivität in einem Nervenzellnetzwerkzurückzuführen, welches sich vor allem im rechtsseitigen unteren Frontallappen befindet. Es ist bereits bei Kindern vorhanden, wobei das musikalische Training einen erheblichen Einfluss auf seine Ausprägung und damit auf die Intensität der zugrunde liegenden Nervenzellaktivität hat. Interessant ist überdies, dass eine gewisse Ãberlappung mit den Netzwerken zu finden ist, die auch für die Analyse von sprachlicher Syntax verwendet werden.
Andere Wissenschaftler haben sich der Frage zugewendet, ob Musikstücke bei Musikern und Nichtmusikern anders verarbeitet werden. Hierzu haben sie simultan zwei Melodieverläufe präsentiert, wobei bei einem eine kleine Tonabweichung in der Hälfte der Durchgänge präsentiert wurde. Die Aufgabe der Probanden bestand darin, diese Tonabweichung zu entdecken. Die Musiker konnten diese Veränderung wesentlich besser erkennen, als die Nichtmusiker. Allerdings waren die Erkennensleistungen der Nichtmusiker nicht schlecht, sondern sie konnten recht gut diese Veränderungen feststellen, aber eben nicht so gut wie die Musiker. Neben den Verhaltensdaten wurde noch mittels der Magnetenzephalographie die Hirnaktivität gemessen, und es zeigte sich, dass insbesondere im Hörkortex stärkere Nervenzellaktivitäten bei Musikern als bei Nichtmusikern zu messen waren.
Wenden wir uns jetzt der Melodiewahrnehmung zu. Eine Melodie besteht aus einer Serie von aufeinanderfolgenden Tönen, welche nach einer Musikregel und einem Rhythmus zusammengesetzt wird. Musikstücke bestehen aus mehreren Phrasen, wobei eine Phrase eine kleine Sinn- und Gliederungseinheit ist, die oft aus mehreren zusammengesetzten Motiven besteht. In der musikalischen Formenlehre bezeichnet der Begriff Motiv die kleinste, meistens melodische Sinneinheit. Sie ist ein typisches, herausgehobenes und einprägsames Gebilde, das als charakteristische Tonfolge für eine Komposition oder einen ihrer Formteile von Bedeutung ist und auch vom Hörer so wahrgenommen werden kann. Ein Motiv kann bereits aus nur zwei Tönen bestehen, zum Beispiel als aufsteigende Quarte (Jagdmotiv) oder als absteigende kleine Terz (Kuckucksmotiv). Die Abgrenzung des Motivs ist meistens durch Phrasierungseinschnitte, Pausen und andere Zäsuren hörbar gemacht. In gewisser Weise sind die Phrasierungseinschnitte oder Zäsuren zwischen Musikphrasen den syntaktischen Zäsuren bei Sätzen sehr ähnlich. Die Psycholinguistin Angela Friederici hat sich mit solchen linguistischen Grenzen und Zäsuren intensiv auseinandergesetzt und festgestellt, dass sie durch ein ganz bestimmtes neuronales Netzwerk verarbeitet werden. Die mit derEntdeckung solcher Phrasen verbundenen elektrischen Aktivierungsmuster zeigen sich durch ein charakteristisches Potenzial, welches sie
Closure Positive Shift
(CPS) nennt. Interessant ist, dass bei Profimusikern beim Wahrnehmen einer Musikzäsur eine ähnliche Hirnaktivität zu messen ist, wie beim Wahrnehmen von linguistischen Zäsuren bei Nichtmusikern. Bei Nichtmusikern ist einerseits eine sehr schwache CPS beim Wahrnehmen einer Musikphrase festzustellen, aber auch ein gänzlich anderes Aktivierungsmuster (Knosche et al., 2005; Neuhaus, Knosche und Friederici, 2006). Die Autoren dieser Studie vermuten, dass Musiker solche Musikphrasen in einer eher strukturierten Art und Weise, ähnlich wie bei der Sprachwahrnehmung, wahrnehmen. Eine Möglichkeit ist, dass Musiker mehrere Parameter zur Phrasen- bzw. Zäsurerkennung mit einbeziehen (Pausen, Musiksyntax etc.) während Nichtmusiker lediglich die Pause analysieren. Dieser Befund zeigt sehr schön, dass mit zunehmender Musikexpertise andere, teilweise komplexere Strategien eingesetzt werden, um Musikelemente wahrzunehmen. Allerdings weist dieser Befund wiederum darauf hin, dass die Erfahrung mit den formalen Inhalten der Musik wichtig scheint, denn die Musiker scheinen mittels ihrer Strategie mehrere Analyseschritte zusammenzufügen, wobei die einzelnen Analyseschritte wiederum auf Expertise aufbauen.
Unser Wahrnehmungssystem ist so aufgebaut, dass wir nicht einzelne Elemente wahrnehmen, sondern eher Muster oder «Gestalten». Dies hat die ältere Forschungsrichtung der
Weitere Kostenlose Bücher