Macht Musik schlau?
folgenden Komponenten repräsentieren komplexere Verarbeitungsstufen, die mit Aufmerksamkeit, Gedächtnis und anderen Denktätigkeiten zusammenhängen.
Abbildung 36: Schematische Darstellung eines typischen auditorisch evozierten Potenzials (AEP).
Unter Anwendung dieser Technik ist mittlerweile eine Reihe von Experimenten durchgeführt worden, die im Wesentlichen gezeigt haben, dass bei Musikern die frühen Komponenten (um 50 Millisekunden)sowie die N1 und teilweise auch die P2 gröÃere Amplituden aufweisen als bei Nichtmusikern, vor allem wenn man musikalische Reize präsentiert. Dieser Befund wird im Wesentlichen damit erklärt, dass die an der Verarbeitung beteiligten Hirngebiete (insbesondere der Hörkortex) beim Hören der Musikstimuli stärker aktiviert sind. (In Abbildung 37 sind typische auditorisch evozierte Potenziale von Musikern und Nichtmusikern beim Hören von Tönen dargestellt.) Diese stärkere Aktivierung bei Musikern erklärt man sich mit einer ausgeprägteren Synchronisation der aktivierten Nervenzellen. Vereinfacht könnte man sich das in etwa so vorstellen, dass die an der Verarbeitung der Musikstimuli beteiligten Nervenzellen synchroner (also gleichsinniger) als bei Nichtmusikern«feuern». Es ist auÃerdem sehr wahrscheinlich, dass die gröÃeren Amplituden auch dadurch entstehen, dass bei Musikern mehr Nervenzellen synchron «feuern» als bei Nichtmusikern. Diese veränderten neurophysiologischen Aktivierungsmuster sind wahrscheinlich der Grund für die effizientere und damit überlegene Wahrnehmungsqualität für elementare Musikreize bei Musikern.
Abbildung 37: Typisches Beispiel für AEPs bei Musikern und Nichtmusikern. NM: Nichtmusiker, RP: Musiker mit relativem Gehör, AP: Musiker mit absolutem Gehör.
Eine spezifische und in der Musikpsychologie häufig gewählte Technik zur Registrierung der EEG-Aktivität während des Hörens von Musikstimuli ist die so genannte
Mismatch Negativity
(MMN), die von dem berühmten finnischen Neuropsychologen Risto Näätänen erfunden wurde. Diese EEG-Registrierungsmethode ist für die Musikforschung deswegen besonders wichtig, weil man mit ihr auch neurophysiologische Verarbeitungsprozesse untersuchen kann, ohne dass bewusste Aufmerksamkeitsprozesse ihre Wirkungen entfalten können. Im Prinzip funktioniert diese Registriertechnik wie folgt: Man bietet den Versuchspersonen zwei unterschiedliche Typen von Musikstimuli an. Einer wird häufiger, der andere seltener präsentiert. Der häufiger (80 bis 90 %) präsentierte Reiz wird als Standardstimulus (engl.:
standard
) bezeichnet, der seltener präsentierte Reiz als Zielreiz (engl.:
deviant
oder
target
). Während der Reizpräsentation brauchen die Versuchspersonen sich nicht auf die Musikreize zu konzentrieren, im Gegenteil: Man versucht sogar, die Versuchspersonen so abzulenken, dass bewusste Aufmerksamkeitszuwendungen auf die Reize ausgeschlossen werden können. Hierzu werden die Musikreize quasi im «Hintergrund» präsentiert, während die Versuchspersonen im «Vordergrund» etwas anderes machen. In der Regel schauen sie sich ein interessantes Video an. Die MMN wird berechnet, indem ein Differenzsignal zwischen dem ereigniskorrelierten Potenzial auf Standards und Deviants berechnet wird. Wenn das auditorische System einen Unterschied zwischen dem Standard und Deviant «erkennen» kann, spricht man von einer signifikanten Differenz zwischen Standard und Deviant. Diese Differenz (die
Mismatch Negativity
: MMN) erreicht ihr Maximum zirka 100 Millisekunden nach der Präsentation des Musikreizes.
Die meisten Untersuchungen, die bislang die MMN einsetzten, um Musiker und Nichtmusiker miteinander zu vergleichen, haben gezeigt, dass Musiker die gröÃten MMN-Amplituden nach zirka 100 Millisekunden aufweisen. Diese gröÃeren MMN-Reaktionen ergeben sich bei Tönen, Klängen, unterschiedlichen Ton- bzw. Klangintensitäten, bei Pausen zwischen aufeinanderfolgenden Tönen, bei Wechseln der Orte,aus denen die Musikreize gesendet werden (rechts oder links), und bei Tondauern. Auch bei komplexen Musikreizen (wie Musikrhythmen, Melodieverläufen oder Intervallen) sind deutliche Unterschiede festzustellen. Besonders interessant sind Befunde, wo physikalische Unterschiede zwischen dem Standard und dem Deviant nur von Musikern «erkannt» werden, nicht aber von
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