Macht nichts, Darling
kürzlich irgendeine Krankheit überstanden. Er fragte mit freundlichem Lächeln: »Wohnt hier Mrs. Leigh?«
»Ja... das heißt, ich.«
»Ist Ihre Frau Mutter zu Hause?«
»Ich habe keine Mutter. Sie ist schon lange tot.«
Er schaute bedauernd und bestürzt drein. »Oh, Verzeihung, dann bin ich wohl doch an die falsche Adresse geraten. Gibt es noch mehr Leighs hier in der Gegend?«
»Nicht daß ich wüßte. Haben Sie denn die genaue Adresse?«
»Der Absender steht auf jedem Brief...« Er begann während des Sprechens in seinen Taschen herumzusuchen. »Aber irgendwas stimmt trotzdem nicht, denn die Dame, die ich suche, ist schon alt. Sie hat mir mal geschrieben, sie wollte sozusagen den Platz meiner Oma bei mir einnehmen — also Sie können’s demnach nicht gut sein, was?«
Sally stimmte nicht in sein harmloses Gelächter ein. Eine schreckliche Ahnung dämmerte in ihr auf. »Den Platz der Oma einnehmen...« War es möglich, daß...? Es war möglich.
Der Fremdling hatte den gesuchten Brief gefunden und hielt ihn Sally vor die Nase. Widerstrebend erkannte sie ihre eigene Handschrift. »Die Adresse stimmt doch«, sagte der junge Mann inzwischen, »aber wo ist Mrs. Sara Leigh?«
»Ich heiße Sara Leigh, genannt Sally«, gestand sie mit bebendem Herzen. »Und Sie ...?«
»Archie Brown«, stellte sich der junge Mann schlicht vor. »Ich bin Ihr einsamer Seemann. Und wenn ich nicht gerade zu ungelegen komme, wollte ich eigentlich Ihrer netten Einladung folgen und Sie für eine Weile besuchen, solange mein Schiff im Hafen liegt.«
7
»Na, ich war ja baff!« sagte Archie Brown.
Sie saßen gemütlich am Küchentisch, und Sally hatte extra starken Tee gemacht. Sie konnte es heute brauchen, und Archie hatte verraten, daß er den Tee am liebsten mochte, wenn der Löffel darin stand, und mit reichlich Zucker.
Sally verschwieg, wie baff sie gewesen war, und bemerkte nur milde, sie hätte eigentlich nie mit so liebem Besuch gerechnet, weil sein Schiff doch immer nur zwischen England und Amerika hin- und herfuhr, wie sie sich zu erinnern glaubte. Das bedeute aber bei der christlichen Seefahrt kein lebenslängliches Urteil, erklärte er. Neuerdings sei er auf einem Frachtschiff, das regelmäßig neuseeländische Häfen anlaufe. Sally wurde bei dieser Kunde etwas flau zumute. Regelmäßig... Ob er dann jedesmal, erkundigte sie sich hastig, einen vollen Monat Urlaub bekäme?
Er lachte und sagte zu ihrer geheimen Erleichterung, er hätte diesmal nur Sonderurlaub, weil er an Land gleich Blinddarmentzündung bekommen und zwecks Operation sofort ins Krankenhaus gemußt hätte. Binnen zehn Tagen sei er wieder vollkommen fit gewesen. »Aber den Sonderurlaub haben sie mir trotzdem gegeben — na, und da bin ich nun«, schloß er seine muntere Erzählung und strahlte Sally herzgewinnend an.
Also da war er nun — für einen vollen Monat. Sally strahlte heldenhaft zurück und hieß ihn noch einmal herzlich willkommen, aber irgendetwas in ihrem Ton schien den einsamen Seemann nun doch stutzig zu machen. Er sah sich plötzlich genauer um und fragte: »Sind Sie denn auch wirklich auf Besuch eingerichtet? Sie wohnen doch wohl nicht ganz allein hier?«
Sally erklärte schnell, daß Matthew für sie und die Farm sorge, und fragte sich dabei beklommen, was Matthew zu der Bescherung sagen würde. Schon immer hatte er über ihre treue, aber zeitraubende und nichts einbringende Schreiberei gemurrt. Jetzt, da es zu spät war, fielen ihr seine unfreundlichen Kommentare wieder ein: »Einsamer Seemann — daß ich nicht lache! Der hat doch in jedem Hafen ’ne Braut, und du schreibst ihm auch noch dauernd, egal, wie hundemüde du bist, und gibst ein Heidengeld für Porto aus, und womöglich liest er dein Geschreibsel gar nicht.«
»Doch, das tut er!« hatte Sally ihren fernen Brieffreund jedesmal verteidigt. »Er geht auf alles ein und beantwortet jede Frage. Meinetwegen kann er ja in jedem Hafen ein Mädchen haben, aber eine Mutter hat er jedenfalls nicht, und die Großmutter ist ihm auch noch weggestorben. Der trauert er am allermeisten nach, und darum habe ich ja ihren Platz eingenommen.«
Größenwahn wird bestraft: Da saß sie nun mit ihrem Adoptivenkel.
Archie Brown lachte jetzt sehr über ihren frommen Betrug. »Ich hab’ mir immer eine alte Dame mit weißen Löckchen vorgestellt und mir vorgenommen, Ihnen ein richtiger Sohn zu sein, wenn ich mal herkomme, und alle kleinen Arbeiten und Reparaturen auf der Farm zu
Weitere Kostenlose Bücher