Macht: Thriller (German Edition)
Braunschweig. Den Meister vom Stuhl der Hamburger Freimaurerloge: den Verleger Johann Joachim Christoph Bode. Den Mann, der überhaupt erst den Kontakt zu Goethe in Weimar ermöglicht hat. Und nicht zu vergessen, meinen Landsmann: Karl August Hardenberg in Berlin, unser Gegengewicht wider die Rosenkreuzer.« Knigge ächzte und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Verdammt, die ganze Bayrische Landesregierung besteht faktisch aus Ordensmitgliedern!« Er sprang auf und unterdrückte nur mit Mühe das Bedürfnis, Weishaupt am Kragen zu packen. »Die edelsten Freimaurer, eingeweiht in die geheimsten Mysterien! Wie soll ich diesen Leuten jemals wieder unter die Augen treten, sobald ihnen klar wird, dass hinter dem Gerede nur leerer Popanz steckt? Meinen Vorschlag, die Hochgrade der Johannislogen zu übernehmen, haben Sie abgelehnt!«
Weishaupt begegnete Knigges Entrüstung mit einem herablassenden Lächeln. »Die Grade der Freimaurerei sind sogar öffentlich gedruckt; was kann eine geheime Gesellschaft wirken, welche so wenig Geheimnis hat, dass ihre ganz innere Verfassung der übrigen Welt bekannt ist?«
Knigge plumpste auf den Sessel zurück. Der Freiherr hatte nicht die Absicht, die Finte zu parieren. »Was maßt Ihr Euch an? Wie konntet Ihr eine derart prosperierende Geheimgesellschaft gründen ohne ein Hochgradsystem?«
»Im Grunde ist das ganz einfach gewesen.« Weishaupt drückte Knigge auch einen Weinbecher in die Hand, setzte sich und nahm einen Schluck. »Die Zeit arbeitete gegen mich. Gegen den Plan, die Fackel der Aufklärung nach Deutschland zu tragen. Pfaffen und Alchimisten verdarben mir die klügsten Köpfe. Frömmler und Mystiker warben meine Studenten ab! Ich musste dem ein Ende machen. Hernach gründete ich 1776 den Bund der Perfektibilisten . Ich begann, Mitglieder zu gewinnen. Alles andre, war ich überzeugt, würde sich mit der Zeit schon finden. Die Satzungen, die Grade und was weiß ich noch alles.« Weishaupt hob die Augen zur Decke. »Es durfte nicht noch mehr Genie an Pfaffen und Quacksalber verloren gehen.« Er nahm den Wein in beide Hände und zog die Brauen zusammen. »Die despotischen Formen der Kompagnie Jesu sind mir ein Gräuel – ich habe sie lange Zeit als Eleve gelitten – dennoch sind sie vorbildhaft. Jesuitische Seelenführung, dieses Mal mit dem richtigen Ziel, lautet die Parole. Disziplin und Zucht geben Antworten, weil sie keine Fragen aufkommen lassen. So wird der Mensch sola mente durch das Streben nach dem Ziel veredelt. Und weil das Ziel die Verwirklichung der Vernunft ist, die jeder bei klarem Verstande begrüßen muss, können auch die zwielichtigen Mittel nicht falsch sein.« Weishaupt prostete dem Freiherrn Knigge zu. »Und dann hat mir die Vorsehung ja Sie geschickt, den Freimaurer. Ich bin mir ganz sicher, Sie haben flugs aus Schottischem Ritus und einer Brise Memphis und Misraim alle nötigen Hochgrade gezimmert. Und wir haben inzwischen genug Quibus licet -Schreiben gesammelt, um zu wissen, was die von uns wollen. Das wird das Bedürfnis nach Mummenschanz zufriedenstellen.«
Knigge trank den Becher bis zur Neige. Das Loch in seinem Bauch erweiterte sich zu einem gähnenden Pfuhl. »Das richtige Ziel? Was genau, meint Ihr damit?«
Der Professor versank in Gedanken, nahm den Tabaksbeutel zur Hand und stopfte die Pfeife. Er grinste versonnen, dann antwortete er: »Die neue Weltordnung, mein lieber Knigge. Die Führung der Welt durch die Erleuchteten!« Er nickte, zog die Mundwinkel nach unten und zündete die Pfeife an. »Doch zuerst muss die Schlacke ausgebrannt werden. Das Wertvolle will vom tauben Gestein getrennt werden. Verstehen Sie?« Weishaupt verstummte. Es knisterte und glühte im Pfeifenkopf. »Legen wir Feuer an das morsche Gebälk, bringen wir Licht in die Finsternis! Bringen wir die Monumente der Macht zum Einsturz! Aus der Asche wird sich die neue Welt erheben. Der Krieg ist der Vater aller Dinge.«
»Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf«, flüsterte Knigge. Der Rauch stieg ihm in die Nase, er träumte qualmende Ruinen und ihm wurde kalt. Anstelle des Professors erblickte er das Raubtier der Auvergne im Stuhl. Bald würde das erste Opfer fallen, und die Jagd auf die Bestie eröffnet werden. Es sei denn, es gelang ihm, das Schlimmste noch zu verhindern und den Blender bloßzustellen. »Sie sind wahnsinnig, Weishaupt.« Knigge stellte ganz sachte den Becher auf die Tischplatte. »Ich habe mich in Ihnen getäuscht, Sie sind ein
Weitere Kostenlose Bücher