Macht: Thriller (German Edition)
Rosstäuscher. Vielfältig habe ich, besonders auf Höfen, Männer wie Sie angetroffen, die unter der Maske der Bonhomie, und bei dem Rufe, tapfer die Wahrheit zu sagen, die ärgsten Maulschwätzer waren.«
Weishaupt musterte Knigge einigermaßen überrascht und amüsiert. »Mein lieber Knigge, an jedem Tag, an dem ein Betrüger seinem Geschäft nachgehen kann, ist am selben Morgen ein Mann aufgestanden, der betrogen werden will.«
»Betrachten Sie meine Zugehörigkeit zu Ihrer Bruderschaft mit dem heutigen Tag, dem 1. Juli 1784, für beendet. Bruder Philo ist tot!« Der Freiherr erhob sich und zog Weste und Rock gerade. »Die Tore der Ewigkeit stehen offen, und eine der zwei Quellen muss gewählt werden. So wie ich die Dinge sehe, wird der Bund der Illuminaten aus Lethe das Wasser des Vergessens schöpfen und nicht aus Mnemosyne die Gabe der Erinnerung und Allwissenheit trinken. – Ich gebe Ihnen und Ihren Ränken ohne mich bestenfalls noch ein Jahr. Wer weiß, vielleicht auch zwei. Leben Sie wohl!«
Düstre Gedanken drückten auf Knigges Schultern auf dem Weg durch die nächtlichen Gassen. Er bedauerte seine Bemühungen für den Bund der Perfektibilisten . Der Freiherr blieb vor dem Bildstock am Straßenrand stehen und besah Totenkopf und Knochen zu Füßen des Gekreuzigten. Die Befürchtung loderte in ihm auf, dass der Freitod Bruder Philos mitnichten das Ende der Illuminaten bedeutete. Das Phantasma hatte das Zeug dazu, zum Nachtmahr zu werden, ihn bis zu seinem Lebensende zu martern und noch lange darüber hinaus zu verfolgen.
Adolph Freiherr Knigge verließ Ingolstadt ohne sich umzudrehen. Er wollte nie wieder etwas von Pallas Athene und ihren Eulen sehen oder hören.
Doch Knigge ahnte es längst: Solange es Enttäuschte voll Begehren gab, welche die Zusage ihrer Wünsche hören wollten, alldieweil würde es auch Weishaupts geben, die ihnen schamlos nach dem Munde logen.
64
Wien, 14. Oktober 2012
U do fixierte das Ziffernblatt an seinem Handgelenk und wetzte auf dem Kaffeehausstuhl hin und her. Die Uhr tickte die Zeit fort. Jedes Vorrücken des Sekundenzeigers nahm eine gefühlte Ewigkeit in Anspruch. Es war schon nach Zehn. Ernstel und die anderen waren noch nicht da, nur der Amerikaner.
Ian Thorpe zog eine Augenbraue hoch und nahm einen Schluck Kaffee. Dieser Kernreiter war wirklich der Mann ohne Nerven. Der CIA-Agent stellte die Espressotasse auf den Untersetzer und kontrollierte Uhrzeit und Umgebung. Zeit satt, und das Café Nautilus in der Kuppelhalle des Naturhistorischen Museums war gut besucht. Fear and wonder waren immer ein gutes Geschäft. Die Schaulustigen wurden allerdings enttäuscht. An den Kassen und an der Kaffeemaschine hinter dem Tresen herrschte Business as usual. Nur das Löwenpräparat im Foyer war nicht mehr an seinem Platz. Alle Spuren des nächtlichen Polizeieinsatzes waren beseitigt. Die Versuchung war groß, an eine Zeitungsente zu denken. Wenn man es nicht besser wusste. Gute Arbeit! Thorpe streckte sich und blickte durch die Fassadenfenster zu dem Gebäudezwilling auf der anderen Seite des Platzes. Zwischen den Wänden aus Gipsmarmor und den Fußböden aus weißem Carrara und schwarzem belgischen Kalk konnte man es gut aushalten. »Die Figur der Pallas Athene auf der Kuppel des Kunsthistorischen Museums ist bekleidet. Der Sonnengott Helios auf dem Naturhistorischen Museum ist nackt.«
»Was?« Kernreiter gaffte sein Gegenüber an.
»Das ist der augenfälligste Unterschied zwischen den beiden Museen. Die zivilisierte Weisheit auf dem einen, die natürliche Erleuchtung auf dem anderen. Wussten Sie das?« Thorpe lächelte und steckte sich das Schinkenbrötchen in den Mund. »Wollen Sie wirklich nichts trinken oder essen, Udo? Sie sind mein Gast! Geht alles auf die Spesenrechnung.«
»Hahaha!« Udo räusperte sich. »Nein, da habe ich noch nie darauf geachtet. Wenn man in der Stadt lebt, sieht man so was mit anderen Augen als ein Tourist. – Hahaha! – Ich meine natürlich nicht Sie, Sie sind ja kein Tourist. Nicht im eigentlichen Sinn …« Udo wich Ians Blick aus, guckte kurz beim Fenster hinaus und begann, an den Nagelbetten der Fingernägel herum zu puhlen. »Auf die Spesenrechnung, sagen Sie?«
Thorpe nickte gönnerisch und wies auf Ausschank und Kuchenvitrine. »Greifen Sie zu!«
»Danke, aber ich habe schon gefrühstückt.« Kernreiter linste auf Ians Teller. Weißbrot, Schinken und Ei. Schnittlauch, Majonäse und keine Spur von Keimlingen und Schrot. Hinter Udos
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