Macht: Thriller (German Edition)
Die junge Dame kicherte und versteckte sich hinter dem Fächer.
Adolph Freiherr Knigge trabte an die frische Luft und überquerte die Straße Am Weinmarkt . Dicht an dicht reihten sich die Häuser. Pfützen glänzten in der Pflasterung. Katzen huschten vorbei, den Ratten dicht auf den Fersen. Knigge klemmte sich den Stock unter den Arm und schlug sich die Handschuhe in die Handfläche. Er ließ seinen Aufbruch Revue passieren und zog schmatzend die Oberlippe hoch. Ein Mann von Geburt bedurfte nicht des Einverständnisses eines Hochschullehrers, die Soiree zu verlassen, wie einer seiner Studenten. Man tat es, wenn die Zeit der Verabredung gekommen war. Der Freiherr blieb stehen und horchte auf die Nacht. Der Mond stand kurz vor dem Zenit. Die Turmuhr der Moritzkirche schlug. Der Pfeifturmwächter auf dem Stadtwachturm verschwand in die geheizte Türmerstube. Knigge spähte in die Schatten.
Der Novize trat hervor. Er zog den Dreispitz und verbeugte sich. »Das Verlangte«, krächzte der Jüngling und übergab Knigge einen verschlossenen Zettel mit der Aufschrift Quibus licet, seine Beichte über alle seine Verhältnisse zum Orden.
Der Freiherr lüpfte den Hut und nahm das Schriftstück entgegen. Er klopfte dem Novizen auf die Schulter und blickte ihm fest ins Gesicht, bis der Bursche nickte. Knigge schmunzelte, beglückwünschte den Bleichgewordenen zu der Entscheidung und stellte einen Fuß nach vorne. Er bedeutete dem Novizen, sich zu beruhigen und mit ihm zu gehen.
»Wartet!« Der Novize streckte die Hand nach Knigge aus.
Der Freiherr drehte sich langsam zu dem Burschen um und umfasste den Knauf des Stockes.
Der junge Mann hielt dem forschenden Blick des Freiherrn nicht stand und machte einen Schritt zurück. Er hüstelte, senkte die Augen und streckte das Schreiben vor, das seine Erwartungen und Wünsche an den Orden enthielt.
Knigge nahm es in Empfang und runzelte die Stirn. » Primo ? – Ist das euer Ernst?«
Der Bursche schüttelte heftig den Kopf und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ihr wisst, ich wünsche, mein Anliegen vor den höchsten Obern zu bringen …«
»Wie Ihr meint«, sagte Knigge. »Ich bin Bruder Philo. Der Recipiens . Euer Pate und Führer auf dem Pfad vom Novizen in die Klasse der Minervalen , den Jüngern der Weisheit!«
Bruder Philo verband dem Jüngling die Augen. Er führte den Zitternden in das Haus und die Treppen nach oben. Der Lärm der Abendgesellschaft drang durch die Dielen. Hinter jeder Tür wurde das Raunen und Geschirrklappern leiser. Die Kerzenflämmchen tanzten auf den Dochten beim Vorübergehen. Philo übergab die Schreiben sowie Hut und Stock den beiden Männern in den Kapuzenmänteln. Ebenso Dreispitz und Gehrock des Jünglings. Der Recipiens packte den hemdsärmeligen Oberkörper des Novizen, löste ihm die Binde von den Augen und schob ihn in das dunkle Gemach hinter der letzten Pforte. Philo schloss die Tür und überließ den Jüngling seinen Betrachtungen.
Eine Viertelstunde später wurde die Tür geöffnet. Der Novize stolperte in das Initiationszimmer. Er blinzelte und tastete dem Kerzenschein entgegen. Er machte drei Tische aus und hörte das Atmen der versammelten Silhouetten.
Auf dem Tisch des mit dem Professorenhut bedeckten Bruder Spartacus, des Initians und höchsten Oberen, lagen Degen und aufgeschlagene Bibel im Schein der matten Leuchte mit dem grünen Schirm. Auf zwei weiteren Tischen brannten Wachskerzen. Hinter Bruder Spartacus standen der Secretarius , Bruder Alexander, und der Recipiens , Bruder Philo. Über dem Oberen war ein Bild der Pallas Athene angebracht, der griechischen Göttin der Weisheit, durch zwei Flammen in bunten Gläsern erleuchtet.
Der Jüngling schluckte und tapste weiter. Er spürte Teppich anstelle der Bodenbretter unter den Sohlen und sah zu Boden. Er stand auf dem gewebten Bild der Pyramide, dem Sinnbild des Ordens.
Bruder Philo ergriff den Degen und setzte dem Novizen mit ernster Miene die Spitze auf die Brust. »Gelobst du, weder dein gegenwärtiges, noch künftiges Ansehen, noch deine Macht zum Nachteil des allgemeinen Besten aufzuwenden, wohl aber damit den des menschlichen Geschlechts und der bürgerlichen Gesellschaft nach Kräften und Umständen zu widerstehen?«
»Ich gelobe!«, antwortete der Novize.
»Versprichst du, alle Gelegenheiten, der Menschheit zu dienen, begierig zu ergreifen, deine Kenntnisse und deinen Willen zu verbessern und deine nützlichen Einsichten zum allgemeinen Besten verwenden zu
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