Macht und Rebel
sich automatisch auf, denn den Latinos fehlt das ideologische Interesse der Aktivisten, »Bullenschweine platt zu machen«; ihr Kleinhirn löst vielmehr einen Fluchtreflex aus, und sie ziehen sich rasch zurück. Einige, die besonders hart von Baseballschlägern und Pflastersteinen getroffen wurden, müssen weggetragen werden. Sie zwängen sich irgendwie in ihre Fahrzeuge und düsen ab, auf demselben Weg, auf dem sie gekommen sind. Die Aktivisten ihrerseits versuchen, die Polizei an beiden Enden der blockierten Straße aufzuhalten, durch Flammenregen mittels Molotows, gewürzt mit Pflastersteinen und Tränengas und Notsignalraketen und Schüssen aus Startpistolen. Die Prop-Masters Remmy und Nasdaq verteilen Gasmasken und Schwimmbrillen und tauchen Bandanas und Skimützen in Essig, denn die Bullerei antwortet mit einem Hagel von Tränengasgeschossen.
Auch die kleinen Mädchen kriegen ihren Teil ab; sie weinen und jammern und reiben sich die Augen. Macht beschließt, sie jetzt durchs WODDY-Gebäude zu schleusen, fast alle kommen rein, nur drei, vier Hotpants haben sich verlaufen, vor allem Angehörige der Gruppe, die die Pamphlete vom Dach geworfen hat. Die müssen eben allein zusehen. Die restliche Teenie-Schwadron verschwindet durch die Hintertür und verläuft sich auf dem Mousonturmvei hinter dem WODDY-Gebäude, wo vor einiger Zeit schon Rick Lasn, der Werbefotograf, geflohen ist, ein Taxi genommen hat und auf direktem Wege zu Waldschmidt & Son Design & Publishing rübergefahren ist, wo Waldschmidt, sein Sohn, Thomas Ruth von T.S.I.V.A.G. und NODDYS Frank Wise ihn und seine Bilder mit offenen Armen und eingeschalteten Druckerpressen erwarteten. Wie auch immer, jetzt sind alle aus dem WODDY-Gebäude raus, auch Macht und Rebel haben hier nichts mehr zu suchen, also schließen sie die Büroräume ab und verschwinden.
Der Molotowregen des Fatty-Clans hält unvermindert an, es brennt und qualmt bis weit aus der Straße hinaus. Der Aktivistenclan hat noch hektoliterweise Benzin in petto, genug, um bis morgen früh weiterzumachen; Remmy und Nasdaq haben an den Vorabenden aus mindestens dreißig Mercedes das Benzin geklaut, und es stehen in beiden Bussen noch Dutzende von 25-Liter-Kanistern mit der Aufschrift »VERCEDES« und dem Logo
auf der Seite. Der dichte Flammenregen führt dazu, dass Hansson, der Einsatzleiter der Polizei, »aus Gründen der Sicherheit« beschließt, seine spärlichen Kräfte zurückzuziehen, bis Verstärkung eintrifft, was wiederum Fatty und Remmy als die Chance erkennen, abzuhauen und sich über die »urbane Topografie« zu verteilen. Sie kommandieren Sami, er solle seinen Bus starten, Remmy wirft seinen an, während Fatty den Leuten verbietet, einzusteigen:
»WENN WIR ALLE MITEINANDER IM SELBEN BUS SITZEN, DANN IST DAS JA DAS REINSTE WEIHNACHTSPAKET FÜR DIE BULLEREI! JEDER HAUT FÜR SICH AB!«
Und als die Busse durch die Barrikaden brechen, wuseln zu allen Seiten wirräugige Aktivisten davon; eine ziellose »Rette-sich-wer-kann«-Panik ersetzt die obligatorische spontaneous-community-Logik, mit der sie sonst operieren.
»Ab geht's durch die Mitte, Frankeehhh …«, sagt Remmy hinterm Steuer.
»Nach rechts! Nach rechts! NACH RECHTS!«, ruft Fatty, und Remmy biegt nach rechts ab, der brennende, rauchende Fucktivist- Bus dröhnt die Juryegate hoch bis zum Hertugvei, dort fährt er links. Remmy drückt aufs Gas, folgt der Straße über den Triangelplass, kreuzt die St. Oscarsgate und saust Richtung Hotel Royal.
»Waaaaahn, was eine Wahnsinnsaktion, Frankeeh …« Remmy nimmt den blutenden, stöhnenden Fatty auf dem Beifahrersitz in Augenschein. Ganz offensichtlich ist Fattys Nase gebrochen, sie hängt ihm schief in der Visage. Gesicht und Overall sind voller Blut und Rotze, sein Bart ist verkleistert. Er prustet, dass es nur so auf Armaturenbrett und Windschutzscheibe sprüht. Sein Bauch krampft nach Luft. Remmy lenkt, dass es kracht, und düst weiter den Hertugvei hinauf. Wieder sieht er nach Fatty. Sein Blick bleibt am Hosenbein hängen.
»Scheiße, Frank … Scheiße, iss'n das da?«, fragt Remmy.
»Hä?«, röchelt Fatty.
»Ist das Sperma da an deinen Beinen oder was?!?«
»Hä…«, sagt Fatty nochmals mit flackerndem Blick.
»Hast du da Sperma an den Beinen oder … das IST Sperma!« Remmy deutet mit ausgestrecktem Arm auf Fattys Beine. »Scheeeeeeiiiiiße Frank … sag jetzt bloß nicht … neinneinneinneinnein … nicht die kleinen Mädchen, Frank? Heeeh? (…) NEEEIN SAG DAS
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