Macht und Rebel
geplagt wurde, unverdientermaßen. Dieser Unterleib ist durch eine Katastrophenwirbelsäule mit einem wenig kooperationswilligen Bauch verbunden; meist muss dieses Rückgrat vierundzwanzig Stunden am Tag in derselben Haltung verharren, und die Bandscheiben befinden sich auf allerlei Irr- und Abwegen, klemmen hier und da das Rückenmark ab, das mit seinen schwachen Impulsen zwei zugeteerte Lungenflügel und ein Herz bedient, das jedesmal weint, wenn die Sonne über den östlichen Horizont schielt. Dies Herz wird heute noch ein paar Liter mit einigen Milligramm Kampf-Dope gewürztes verkalktes Blut hierhin und dahin pumpen, manchmal sogar bis hinauf in eine Art Hirnbeutel, der bis zum Rand mit Webadressen, Programmiersprachen und Pornos angefüllt ist. Ja, stimmt, dieses Gehirn gehört Hacker-Cato, und neben Fatty, der unbeholfen auf einem Bierkasten steht, und neben dem Umstand, dass es sich frischer und tatkräftiger fühlt denn je, registriert es jetzt die rot gekleideten Menschen zur Rechten und zur Linken. Rund siebzig Stück. Im linken Augenwinkel bemerkt Catos Hirn Leute wie Satan-Harry, Sören Martinsen, Nasdaq, Jones Dow oder Pat Riot. Das Gehirn bemerkt, dass Riot gefährlich nah an Fattys Bierkasten steht und denkt, dass Riot wahrscheinlich selber gern dastehen und die Menge anfeuern würde. Aber nein. Heute steht Fatty auf dem Bierkasten, und niemand als Fatty allein. Im rechten Augenwinkel registriert Catos Hirn Sheeba Ali, Jenna, Fisting Furz, Pubes und Jan Mayhem, den es schon lang nicht mehr gesehen hat, und auf beiden Seiten gut sechzig andere Professionals, die nur so zittern, vor Kampfeslust und natürlich auch vor Crystal Meth. Cato kennt einige noch von dem Aufstand in Danzig oder der Schlacht von Triest. Pat Riot, der Rekrutierungschef, hat ganze Arbeit geleistet. Alle siebzig tragen denselben roten Overall mit derselben Aufschrift wie Fatty. In allen kreist dasselbe Dope. Alle haben Bandanas oder Skimützen auf dem Kopf, die sie sich vors Gesicht ziehen können. Alle außer Fatty. Fatty benutzt keine Bandana. Fatty versteckt sein Gesicht nicht. Warum? Weil Fatty – überwachungstechnisch gesehen – sich sowieso nicht verstecken kann.
Trotz seines extrem schlechten Orientierungssinns weiß Cato, wo in der Stadt er sich befindet. Schließlich hat er an sämtlichen Strategietreffen teilgenommen, bei denen Fatty, Remmy und der ganze Clan immer wieder die Vor- und Zurückbewegungen, die Blockaden und das Timing durchgesprochen haben; zur Erläuterung zeigte Fatty immer mit seinen Wurstfingern die entsprechende Stelle auf einem Stadtplan. In dem Planungslokal – einer von Jenna organisierten, außer Dienst genommenen U-Bahn-Station – haben die Oberstrategen Fatty und Remmy außerdem ein großes Modell des PAYPLUG-Häuserblocks gebaut, das auch Teile jener Durchfahrt enthielt, wo die rot gekleidete Aktivistenschar sich jetzt versammelt hat. Hacker-Catos Gehirn erkennt tatsächlich die »urbane Topografie« wieder, die Fatty bei der Vorbereitung unablässig im Munde führte. Diese Durchfahrt erlaubt es den siebzig, direkt bis zum PAYPLUG-Gebäude zu gelangen, ohne vorn auf der Hauptstraße »paranoiden Spitzeln« und »vorbeikommenden Ratten« (»Straßenratten«, wie Fatty den gewöhnlichen Spitzel nennt) in die Arme zu laufen, die dann möglicherweise alles verderben. Nur keine Risiken! Alles, was auf gewalttätigen Aufruhr hindeuten könnte, also Barrikadenmaterial, Waffen etc., haben Remmy Bleckner und sein Bruder in ihren beiden Bussen.
Remmy ist per Funk mit Fattys Fresse kurz geschlossen, die sich jetzt öffnet, um die ersten Worte der Kick-off-Rede ins Headset zu kotzen, in Remmys Ohren, und durch dessen Headset wieder in die Ohren der siebzig uniformierten »Kampfhunde«, die dicht gedrängt vor dem Bierkasten stehen, die Augen voll chemisch hervorgerufener Aggression. Einer Aggression, die jetzt durch diese Rede noch weiter geboostet werden soll, der Rede, die Fatty vom Superhirn Macht bekommen hat, dem sie von Meckerhirn Rebel geschickt wurde, welcher sie, wenn man so will, von Hitlers Nazihirn empfangen hat. Die Zitate aus Mein Kampf hat Rebel getuned und kursiv gesetzt, in der Hoffnung, dass Fatty sie besonders betont:
»Brüder!
Die Weltgeschichte wird von Minderheiten geschaffen, wenn nämlich eine zahlenmäßige Minderheit nach Willens- und Entschlusskraft eine Mehrheit verkörpert.
Was viele als Schwierigkeit ansehen, ist daher in Wirklichkeit eine Voraussetzung für
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