Macht Vakuum
gegenwärtig das wahrscheinlichste der Post-G-Null-Szenarios, denn es erfordert keine Kompromisse zwischen mächtigen Staaten und keine Vertrauensvorschüsse bei der Lösung globaler Probleme. Vor allem aber passt es am besten zu dem Weg, auf dem sich die Welt offenbar schon heute befindet.
Das Phänomen ist weltweit, wirkt sich aber in jeder Region anders aus. Europa und Lateinamerika sind sehr viel kooperativer und haben mehr Institutionen als Asien und Afrika. Dieser Unterschied wird noch zunehmen. Die europäischen und die lateinamerikanischen Staaten werden vermutlich eher bereit sein, eine Führung Deutschlands bzw. Brasiliens zu akzeptieren als die asiatischen oder früheren sowjetischen Staaten eine chinesische oder eine russische Hegemonie begrüßen würden. Und die afrikanischen Institutionen sind in Bezug auf den Handel und die Sicherung des Friedens zwar weiter als früher, haben aber immer noch einen langen Weg vor sich. Kurz gesagt, einige Regionen werden von Natur aus mehr zusammenhalten als andere. Einige Staaten, die sich zur Regionalmacht aufschwingen wollen, werden häufiger Zwang anwenden müssen. Andere können sich auf ethnische oder religiöse Gemeinsamkeiten stützen, um informelle Koalitionen gleichgesinnter Staaten zu bilden. Angesichts der vielen möglichen Entwicklungsmuster lohnt es sich, jede einzelne Region genauer zu betrachten.
Fangen wir mit der arabischen Welt an: Die politischen Erdbeben in Nordafrika und im Nahen Osten brachten die Regierungen in Ägypten, Tunesien, Libyen und dem Jemen zu Fall. Nur in Libyen spielten die USA und die Nato bei diesem historischen Wandel eine wichtige Rolle, und das auch nur nach einem Appell anderer arabischer Staaten. In Reaktion auf die Gefahr revolutionärer Ansteckung und auf die Unfähigkeit und mangelnde Bereitschaft externer Mächte, die Ausbreitung der Revolution zu verhindern, nutzte die Regionalmacht Saudi-Arabien ihre führende Stellung im Golfkooperationsrat (GCC), um die anderen arabischen Monarchien zu stärken. Im Mai 2011 bemühte sich Riad, seinen Einfluss auszuweiten, indem es Jordanien und Marokko offiziell einlud, dem Rat beizutreten. Diese Länder haben starke Motive für eine neue Ebene der Zusammenarbeit: Sie sind sowohl durch die wachsende Macht des Iran in der Region als auch durch die Gefahr weiterer Unruhen bedroht, und sie sind darüber besorgt, dass die USA im Nahen Osten eine schwächere Rolle spielen als früher. Wenn Saudi-Arabien bei der politischen Koordination und der Friedenssicherung eine führende Rolle übernimmt, könnte sich der GCC relativ rasch eine gemeinsame Währung geben, seine Handels- und Investitionsverbindungen vertiefen und sehr viel stärker in der Außen- und Sicherheitspolitik kooperieren. 14 Eine solche Entwicklung würde dazu beitragen, die Stabilität am Golf zu erhalten, doch durch die G-Null bekämen religiöse Fanatiker in Ländern wie Syrien und dem Irak die Möglichkeit, anderswo im Nahen Osten neue Probleme zu schaffen. Selbst Staaten, die wie Marokko, Algerien und Jordanien nicht in der Golfregion liegen, könnten in den kommenden Jahren neue Probleme bekommen. Kürzlich brachte Saudi-Arabien sogar eine politische Union der GCC-Länder zur Sprache. Während ein solcher Schritt auf absehbare Zukunft unrealistisch ist, deuten allein schon die diplomatischen Anstrengungen Saudi-Arabiens und die Tatsache, dass andere Staaten wenigstens theoretisch positiv auf sie reagieren, auf eine ideologische Konsolidierung hin.
In Europa hat das finanzstarke Deutschland durch eine krisenhafte Entwicklung, was die Kreditwürdigkeit mehrerer europäischer Länder betrifft, eine stärkere regionale Führungsrolle bekommen, und zwargleichgültig, ob dies den deutschen Regierungsvertretern oder dem deutschen Steuerzahler gefällt. Berlin wird bei jedem Plan für eine Reform der Eurozone, des Schengener Grenzabkommens oder der Europäischen Union selbst eine entscheidende Rolle spielen. Wenn es Europa gelingt, zwischen den Mitgliedsstaaten Abkommen zu schmieden, die einerseits ein neues Bekenntnis zu einer gemeinsamen Währung und andererseits eine wesentlich bessere Koordination der Staatsausgaben und der Steuerpolitik beinhalten, wird der Kontinent als die bestgeführte Region der Welt aus der Krise hervorgehen. Es ist immer noch extrem unwahrscheinlich, dass es schon bald eine gemeinsame europäische Außen- und Verteidigungspolitik geben wird (die Harmonisierung der Fiskalpolitik mit der
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